Spielbericht

1. Runde - DFB-Pokal - Saison 2010/2011
Chemnitzer FC
Chemnitzer FC
1:0
FC St. Pauli
FC St. Pauli

Ein Tag für die himmelblauen Geschichtsbücher

von Frank Neubert

Herzlichen Glückwunsch, ihr himmelblauen Helden! Mit dem hochverdienten 1:0 in der 1. Runde des DFB-Pokals gegen den Erstligisten FC St. Pauli habt ihr euch einen Ehrenplatz in der neueren Geschichte des Clubs erkämpft! Verdammt lange 17 Jahre ist es her, daß man in Chemnitz zum letzten Mal einen Sieg gegen einen Bundesligisten bejubeln konnte. Damals erwischte es Werder Bremen, diesmal traf es mit den Hamburgern erneut einen Club aus dem Norden. Und zwischen beiden Spielen wurde ein wunderbarer historischer Faden geknüpft - beim damaligen 2:1 stand Trainer Hans Meyer an der Seitenlinie, am Samstag bekam jener Mann vor dem Anstoß gegen St. Pauli feierlich die Ehrenmitgliedschaft des Clubs überreicht. Meyer bedankte sich auf seine Weise - nämlich als Glücksbringer für das Erreichen der 2. Runde!

Andreas Richter köpft zum 1:0 in die MaschenUnd noch ein kleiner Blick in die Geschichtsbücher gab am Samstag Anlaß zur Freude: Seit über zehn Jahren wurde auf der Fischerwiese keine fünfstellige Besucherzahl mehr registriert (zuletzt im Mai 2000 beim 1:0 gegen TeBe). Im diesjährigen Finale des Sachsenpokals gegen die Unblauen war man bereits ganz nahe dran (9.670), nun wurde diese magische Grenze mit 10.431 Zuschauer endlich wieder einmal übersprungen! Und es besteht gute Hoffnung, daß angesichts des hochverdienten Sieges einige der Anwesenden erneut ihre Schritte auf die Fischerwiese lenken werden. Verdient hätten es die himmelblauen Jungs auf jeden Fall!

Den historischen Moment des Samstags konnte man nach dem Schlußpfiff direkt am Zaun ablesen: Irrsinnig jubelnde Menschen, vor Glück erstarrte Gesichter, manch einer verdrückte gar eine kleine Freudenträne. Wer hätte tatsächlich gedacht, daß der Erstligist hier die Segel streicht? Die Chancen für eine solche Überraschung sind in den letzten Jahren stetig gesunken, und vor 2 Jahren war man mit dem 0:1 gegen Hoffenheim trotz guter Leistung noch bestens bedient. Schädlich hatte seine Männer diesmal perfekt eingestellt. Im Mittelfeld durfte der Gast werkeln, aber mit jedem Meter weiter in Richtung Pentkes Tor traf er auf entschlossene und bissige Himmelblaue, die mit viel Laufarbeit ein fast undurchdringliches Abwehrbollwerk errichteten. Für St. Pauli wurde nach Spielende rund 70% Ballbesitz gezählt - heraus kamen dabei nicht mehr als 2-3 bessere Chancen, die man auch in einem RL-Punktspiel einem ambitionierten Gast zugestehen würde.

Dem himmelblauen Abwehrbollwerk spielte natürlich die frühe Führung durch Richter (5.) bestens in die Karten. Nach einer Ecke von Garbuschewski flog "Air Richter" in den Pauli-Strafraum ein und nischelte das Leder fast unbedrängt zur Führung ins Netz. Scheinbar hatte sich die Torgefährlichkeit des CFC-Kapitäns noch nicht bis zur Reeperbahn herumgesprochen. Mit dem 1:0 ließ man den Erstligisten erst einmal kommen, der fand aber nur einmal ein größeres Loch in der CFC-Abwehr (Steilpass auf Kruse, 13.), welches Penkte - der nach dem Sieg wieder eine schicke Uffta auf dem Zaun in der Südkurve zelebrierte - glänzend stopfte. Dem Club konnte man in der ersten Hälfte lediglich ankreiden, daß er einige eroberte Bälle zu leichtfertig und überhastet wieder verschenkte. So entstand kaum Gefahr durch Konter. Die letzte große Szene vor der Halbzeit hatten sogar die Himmelblauen: Gäste-Keeper Pliquett faustete einen Freistoß-Hammer von Trehkopf mit Ach und Krach über das Gebälk.

CFC-Keeper Pentke stimmt nach dem Sieg eine Uffta mit der Südkurve anUnverändert kamen beide Teams aus den Kabinen. Was hatte wohl Gästetrainer und St. Pauli-Urgestein Stanislawski seinen Männern gesagt? Kam der 3-Ligen-Unterschied jetzt zur Geltung? In der 50. Minute hätte man dies zunächst bejahen können, denn Ebbers (Vorjahr: 20 Tore!) setzte zu einem erstligareifen Drehschuß aus ca. 20 Metern an; doch Penkte entschärfte das Geschoß mit einer ebenso erstklassigen Parade. Chemnitz hielt stand! Und es wurde noch besser. Nur 180 Sekunden später lag der Ball zum 2:0 im Kasten von St. Pauli. Nach einer Ecke von Löwe kam "Air Richter" einen Tick vor Pliquett an den Ball, Fröhlich stocherte die fallende Kugel zu Peßolat, der direkt einschoß. Zum Entsetzen der bereits jubelnden Fans gab Schiedsrichter Zwayer (ja, genau der aus dem Wettskandal) den Treffer leider nicht. Der Berliner entschied, vollkommen unverständlich, auf Foul am Hamburger Torwart. Aber auch diese Fehlentscheidung beeindruckte den Club nicht. Das hervorragende Abwehrbollwerk um Richter, Trehkopf, Sträßer und Neuzugang Schaschko hielt den Angriffen des Erstligisten stand und sicherte dem Club letztlich den Einzug in die 2. Runde, welche den himmelblauen Kontostand allein durch die TV-Gelder um 250.000 zusätzliche Euronen erhöhen wird.

Ein fettes Sonderlob geht neben dem himmelblauen Team vor allem an die Ultras Chemnitz, die mit einer sensationellen Choreo in der Südkurve auf das Spiel einstimmten. Ein Dieb schlich sich durch das nächtliche München, stiebitzte den dort im Trophäenschrank befindlichen DFB-Pokal, und brachte diesen in das feierwütige, himmelblaue Chemnitz! Ganz großes Kino und alle Daumen hoch für diese Idee und Umsetzung! Aber auch die Stimmung im Stadion wurde - trotz vieler Gelegenheitsgucker unter den 10.000 - sehr gut aus der Kurve angeheizt. Mehrmals schallte ein fettes, dreiteiliges F-C-K durch das Rund, und auch das altbekannte "Wer war Sieger..." wurde erfolgreich angestimmt. Sehr schön, sehr schick! Ein Lob geht fairerweise auch an die Sympathisanten des FC St. Pauli, die für eine proppevolle Gästekurve, viel Singsang und ein rauchbetontes Intro zu Spielbeginn sorgten. Es gab Zeiten, da wurde der Osten vom braun-weißen Partyvolk bewusst gemieden.

Ausdrücklich kein Lob, sondern ein dickes Pfui (!!!) geht allerdings an die politischen Trittbrettfahrer auf beiden Seiten, die wieder einmal den Ballsport mit Politik verwechselt hatten und nach wie vor glauben, ihre linken bzw. rechten Banner und Parolen in einem Fußballstadion präsentieren zu müssen! Manche lernen es halt nie. Allerdings, und auch diese Anmerkung sei erlaubt, spielten diese Begleiterscheinungen zum Glück eine wesentlich kleinere Rolle, als im Vorfeld - auch aufgrund dessen, daß die Medien die Vorfälle von 2006 teils erneut aufgewärmt hatten - zu vermuten war. Für beide Seiten gilt in gleichem Maße: Ein Jeder kehre vor der eigenen Türe!

Fazit: Der Club hat endlich mal wieder etwas "Großes" gerissen. Der Traum des Weiterkommens aus den Jahren 2006 und 2008, als es gegen die Erstligisten Aachen und Hoffenheim ging, wurde endlich einmal erfüllt! Die TV-Gelder von 250.000 Euro sind ein Segen für den Etat und den Kampf gegen RB Leipzig. Alles fiebert nun der 2. Runde entgegen. Gut so! Allerdings darf dabei die Liga nicht vergessen werden, wo man in Plauen "nur" einen Punkt erkämpft hat. Es wäre traumhaft, wenn man den Elan und Esprit vom Pokal in die Liga transferieren könnte. Denn mit dem nächsten Gegner kommt genau der richtige Kandidat - als man vor 17 Jahren Werder Bremen eliminierte, war Hertha II im Pokal die Endstation. Und am Samstag besteht die unvergleichliche Gelegenheit, genau diesem Gegner dafür richtig "Danke" zu sagen...

Wertung: 1,5

Beste Himmelblaue: Richter, Fröhlich, Pentke, Sträßer, Schaschko

» zur Bildergalerie...

Pressestimmen

Kicker-Online

St. Pauli erlebt sein himmelblaues Wunder

Der Chemnitzer FC hat die erste große Überraschung der Pokalsaison geschafft: Der Viertligist schaltete dank eines frühen Kopfballtreffers von Kapitän Richter den FC St. Pauli aus. Die Hamburger enttäuschten über die gesamte Spielzeit. Augenzeuge der starken Vorstellung der Sachsen war auch Hans Meyer, der 1993/94 mit dem Chemnitzer FC ins Pokal-Halbfinale vorstieß und vor der Partie die Ehrenmitgliedschaft des CFC verliehen bekam. [..]

MDR-Online

Richter köpft Chemnitz in Runde zwei

[..] Die Chemnitzer erwischten den erhofften Start nach Maß. In der fünften Minute servierte Garbuschewski den Eckball genau auf den Kopf von Kapitän Richter, dessen Aufsetzer aus acht Metern im linken Eck landete. Mit dem Tor im Rücken und viel Kampfkraft gelang es den Himmelblauen in der Folgezeit, den haushohen Favoriten weitgehend vom eigenen Tor fernzuhalten. [..]

Hamburger Morgenpost

St. Pauli blamiert sich mit 0:1 gegen Chemnitz

[..] Was für ein Fehlstart, was für eine Peinlichkeit! Der FC St. Pauli schied in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen den Viertligisten (!) Chemnitz aus - vor 10431 Zuschauern gab es eine ebenso deprimierende wie verdiente 0:1 (0:1)-Niederlage. Trainer Holger Stanislawski musste zugeben: "Vor dem Bundesliga-Start war das ein Schuss vor den Bug für uns." [..] Ins Bild passt das Verhalten von Teilen der Fans: Sie zündeten vorm Anpfiff Bengalos und Knallkörper, böllerten gegen Ende der Partie noch mal kräftig los. Das dürfte noch richtig Ärger geben. [..]

Die Welt

Und tschüs!

[..] Nach einer erschreckend schwachen Vorstellung in Chemnitz blieb den Hamburgern nicht viel mehr als die Hoffnung, dass es sich um einen einmaligen Ausrutscher gehandelt habe. Vor 10 431 Zuschauern erschien der FC St. Pauli sehr früh wie ein Bundesligaklub, dem eine Blamage widerfahren würde. Dem frühen Gegentor durch CFC-Kapitän Andreas Richter begegneten die Braun-Weißen noch mit Gelassenheit. Es waren ja erst fünf Minuten gespielt. [..] Nach einer halben Stunde war es mit der vermeintlichen Souveränität allerdings vorbei. [..] "Wem es in 85 Minuten nicht gelingt, gegen einen Regionalligisten den Ausgleich zu erzielen, hat ein Weiterkommen nicht verdient. Wir hatten nur drei richtige Torchancen. Am nächsten Wochenende wird es aber ganz anders aussehen", sagte Sportchef Helmut Schulte. [..]

Freie Presse

Himmelblaue auf Wolke sieben

[..] "Super, einfach geil, der Wahnsinn, unglaublich, irre." Die ersten euphorischen Reaktionen ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. David hat Goliath in die Knie gezwungen und darf, wenn auch nur kurz, auf Wolke sieben schweben. Der Außenseiter kann sich als "Besieger des Weltpokalsiegerbesiegers" - im Winter 2002 schlug der Bundesliga-Tabellenletzte St. Pauli den frisch gebackenen Weltpokalsieger Bayern München - feiern lassen. Er darf von einem attraktiven Gegner träumen und sich über Einnahmen von mindestens 250.000 Euro in der nächsten Runde freuen. Wenig später analysierte Gerd Schädlich: "Die Mannschaft hat ein engagiertes Spiel geliefert und mit einem guten Torhüter sowie einem Quäntchen Glück verdient gewonnen. Der einzige Kritikpunkt sind zu viele einfache Ballverluste." [..]

Freie Presse

Chemnitz schafft es in die Tagesschau

[..] Chemnitz ist in aller Munde. Was mit aufwändigen und zum Teil kostspieligen Aktionen der städtischen Tourismusgesellschaft nicht gelungen ist, schafften die Fußballer des Chemnitzer FC mit ihrer Leistung am Samstag: Nach dem 1:0-Sieg in der ersten Hauptrunde des DFB-Pokals gegen Bundesligist FC St. Pauli spielte die Stadt in allen großen deutschen Fernsehsendern eine Hauptrolle. Als Höhepunkt war in der 20-Uhr-Tagesschau ein etwa einminütiger Bericht aus dem Stadion an der Gellertstraße zu sehen, der zu Beginn einen jubelnden Trainer Gerd Schädlich zeigte. Und wie begann das Aktuelle Sportstudio im ZDF? Mit dem Bericht aus Chemnitz und der dortigen Pokalsensation - die Himmelblauen haben am Samstag einen großen Beitrag zum Stadtmarketing geleistet. [..]


Spielerstimmen

Barbara Ludwig, Oberbürgermeisterin (Freie Presse):
"Wenn der CFC so wie heute gegen einen Erstligisten spielt und gewinnt, muss das einfach eine gute Saison werden. Es war ein begeisterndes Spiel. Zum Schluss hat unser Torwart die Hauptrolle gespielt, insgesamt gesehen war es jedoch eine gute Mannschaftsleistung. Für die nächste Runde wünsche ich mir einen Gegner, den wir wieder schlagen können."

Eberhard Wiosna, CFC-Vorstand (Freie Presse)
"Dieses Weiterkommen ist schon toll, vor allem fürs Image. Mich hat unsere Mannschaft kämpferisch überzeugt. Wir müssen jetzt erst mal überlegen, was wir mit den Zusatzeinnahmen machen."

Holger Hiemann, CFC-Torwartrainer (Freie Presse)
"Unser Torhüter Philipp Pentke hat heute gezeigt, was er kann. Er ist gut drauf, hat Selbstvertrauen. Im Spiel konnte man keinen großen Klassenunterschied zwischen beiden Mannschaften erkennen. Ohne unsere Leistung schmälern zu wollen, aber wir hatten St. Pauli stärker erwartet."

Trainerstimmen

Gerd Schädlich (MDR-Online):
"Als Trainer wünscht man sich ein frühes Tor, und so hatten wir einen optimalen Start in dieses Spiel. Trotzdem sind wir erst nach 20 Minuten besser in die Partie gekommen. Es war ein enges Spiel. Wir hatten das Quäntchen Glück, und dass wir einen guten Torwart haben, wussten wir. Wir haben trotzdem zu viele leichte Bälle verloren, was uns viel Kraft gekostet hat. Jetzt darf ein, zwei Tage gefeiert werden, aber ab Montag gilt die volle Konzentration auf Hertha BSC II."

Holger Stanislawski (MDR-Online)
"Glückwunsch an den Chemnitzer FC: Sie haben aufopferungsvoll gekämpft und sich in jeden Schuss geworfen. Der Sieg geht in Ordnung. Wir wussten, dass der CFC bei Standards gefährlich ist, und trotzdem haben wir es zu spüren bekommen. Meine Mannschaft hatte vor allem in der zweiten Halbzeit gute Chancen, hat aber die letzte Konsequenz vermissen lassen. Und wir sind an einem sehr guten Torwart gescheitert."

1. Runde - DFB-Pokal - Saison 2010/2011
Samstag, 14. August 2010, 15:30 Uhr
Fischerwiese, Chemnitz
Zuschauer: 10.431
Schiedsrichter: Felix Zwayer
Chemnitzer FC
T Pentke
A Sträßer
A Trehkopf
A Richter
A Schaschko (67. Schlosser)
M Garbuschewski
M Peßolat
M FröhlichGelbe Karte
M Wilke
M Löwe
S Förster (65. Dressler/90. Hampf)

Trainer: Schädlich
FC St. Pauli
T Pliquett
A Lechner
A Morena
A Zambrano
A Oczipka
M Kruse (77. BartelsGelbe Karte)
M Lehmann
M Boll
M NakiGelbe Karte
S Takhy (69. Hennings)
S Ebbers

Trainer: Stanislawski
Tore
1:0 Richter (5.)