Das CFC-Pressearchiv


Süddeutsche Zeitung vom 02.11.1999

Ein Familienbetrieb widersteht der großen Kinowelt

Der Chemnitzer FC zieht es anders als viele Ost-Konkurrenten vor, sparsam und selbstständig zu bleiben - bislang mit Erfolg

Chemnitz - Kaum zu glauben, aber beim Chemnitzer Fußballverein hat man am Freitag den Weltspartag verpasst. In Chemnitz ging der Termin, den die Pfennigfuchser rot im Kalender anstreichen, unter. Dabei hätte man in der sächsischen Stadt mit ihren 290 000 Einwohnern ein großes Fest, dem Anlass gemäß, geben können. Zum Beispiel im Stadion an der Gellertstraße, wo der Zweitligist Chemnitzer FC seine Heimspiele bestreitet. Dort sitzen nämlich kühl- berechnende, gewiefte Kalkulierer.

Was das heißt und was Manager Dietmar Menz meint, wenn er sagt, ,,Wir brauchen jede Mark", wird am Büffet für Journalisten schnell klar. Bevor man zu Kaffee, Brötchen und Kuchen gelangt, muss der hungrige Schreiber an einer energischen Dame vorbei. Die reicht zwar freundlich Speise und Trank, doch kosten die Snacks ,,ne Morg fuffzisch" pro Stück. ,,Das läuft hier wohl unter Notopfer Ost", mutmaßt ein Kollege aus dem Westen, genauer aus Aachen.

Die Alemannia ist an diesem Sonntag zu Gast in Chemnitz. Über die Aachener ging jüngst ein warmer Geldregen nieder. Die Kinowelt AG unter Michael Kölmel stellte 48 Millionen Mark zur Verfügung. Irgendwann, wenn der DFB die Vermarktungsrechte den Vereinen überlässt, erhofft sich Kinowelt Wirkung von seinen Finanzspritzen. In den neuen Ländern wurden Union Berlin und 1. FC Magdeburg, Sachsen Leipzig, Carl-Zeiss Jena und Dynamo Dresden behandelt, allesamt Regionalligisten. Manager Menz räumt ein, dass es mit Kinowelt Gespräche gab, legt aber Wert auf den Hinweis, Chemnitz habe nie um Investitionen gebeten.

Eugen Hach, Trainer von Alemannia, wollte nach dem Spiel, das 2:2 endete und beider Mannschaften Position im Vorderfeld der Zweitligatabelle festigte, Glauben machen, in Chemnitz und Aachen herrschten ,,gleiche Verhältnisse". Dass dem nicht so ist, wissen die Chemnitzer Kicker, wenn sie allmonatlich auf ihre Kontoauszüge blicken. Jungprofis kassieren Summen, mit denen mäßig motivierte Erntehelfer nach Hause gehen. Der hoch veranlagte 18-jährige Peer Kluge etwa unterschrieb kürzlich einen Dreijahresvertrag beim CFC. Menz: ,,Da waren wir langsam in der Pflicht. Der hat ja vorher weniger gehabt als der Platzwart." Dagegen können einige Aachener mit Bundestagsabgeordneten konkurrieren - was den Verdienst anbelangt.

Stellt sich die Frage, warum die Spieler unter diesen Bedingungen in Chemnitz kicken. Trainer Christoph Franke sagt: ,,Unsere Leute haben keine Dollarzeichen in den Augen. Die sind loyal. Es gibt ein Vertrauensverhältnis zwischen allen Verantwortlichen." Kapitän Ulf Mehlhorn erklärt: ,,Wir sind ein Familienbetrieb, zu uns kommen nur Spieler, die sich mit dem CFC identifizieren können." Menz versichert: ,,Für Talente ist es besser, so lange wie möglich zu bleiben, hier entwickeln sie sich, die große Kohle lässt sich später noch machen."

Alexander Tetzner ist einer der Umworbenen. Er dürfte bald dem Weg von Ingo Hertzsch (zum HSV) und Michael Ballack (Kaiserslautern, Leverkusen) folgen. Nach gutem Zureden von Franke blieb Tetzner vorerst noch in Chemnitz, unterschrieb einen Zweijahresvertrag, kann aber bereits nach einem Jahr wechseln. Das Vertragswesen sei der Kern des Erfolgs, sagt Menz. Keine Mauscheleien, klare Worte. Mit windigen Spielervermittlern werde grundsätzlich nicht verhandelt, mit Agenturen, die ,,abzocken" wollen, ebenso wenig.

Der Fußball in Chemnitz ist in der Marktwirtschaft angekommen. Es wird penibel Buch geführt, ablösefrei eingekauft, strategisch gedacht. Lediglich einige Fans sehnen sich nach alten Zeiten. ,,Zwei Apfelsinen im Jahr und zum Parteitag Bananen, wir rufen ,Hurra, Hurra', der Kommunismus ist da", singen sie nach Spielende. Am Pressebüffet gehen gerade die letzten Schmankerl weg. Kostenlos.

Markus Völker

» gefunden von Jens Zeidler

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