Süddeutsche Zeitung vom 12.02.2001
Trainer Dirk Karkuth soll den Chemnitzer FC vor dem Abstieg aus der zweiten Liga retten, verliert jedoch weiterhin
Ein Mutmacher fürs gebeutelte Kollektiv
Chemnitz – Ein Mann sitzt da und redet. Er formuliert harsch, kühn, atemberaubend und im Rausch seiner Worte vergisst er sogar die Zigarette, obwohl er doch darauf besteht, Kettenraucher
zu sein. Irgendwann ist es draußen Nacht, der Mannschaftstrakt des Chemnitzer FC liegt verlassen, und im Trainerzimmer hängen nun Sätze, wie sie nur wenige einem Reporter in den Block
diktieren würden. Einer lautet: „Ich will deutscher Meister werden, ich will
Bundesliga-Trainer werden, und ich will eine Medaille als Pokalsieger kriegen.
Der Mann heißt Dirk Karkuth, hat in seiner Trainer-Karriere erst ein Dutzend Zweitliga-Spiele absolviert, ist 39, hochaufgeschossen, schlank und betreut seit zwei Monaten das
Zweitliga-Schlusslicht Chemnitzer FC. Vielleicht ist er ja genau der richtige
Mann am richtigen Ort. Vielleicht auch nicht. Am Samstag sah es
eher nach letzterem aus: Beim wichtigen Heimspiel gegen die
ebenfalls abstiegsgefährdeten Osnabrücker unterlag Chemnitz 1:2
(0:0). Selbst wenn der Klub die kommenden drei Spiele gewinnen
sollte, wäre er immer noch Letzter, so weit ist er abgeschlagen.
„Wenn wir diese Partie nicht gewinnen“, hatte Karkuth vor dem Spiel
gesagt, „ist das Unternehmen Klassenerhalt zu Ende.
Noch bleibt Zeit, aber eines steht wenigstens schon fest:
Karkuth verkörpert so ziemlich das Gegenteil von dem, wofür sein sächsischer Arbeitgeber steht. Chemnitz setzt auf solides Handwerk, der Etat ist klein, auch in der Zuschauergunst liegt der
Klub im Liga-Vergleich weit hinten. Karkuth dagegen stammt aus dem tiefen Westen, aus dem Ruhrgebiet. Er gibt sich marktschreierisch, fröhlich, laut. Vielleicht braucht es einen wie ihn, um seinem seit Saisonstart gebeutelten Kollektiv Mut einzuflößen. In der Liga hat Karkuth bereits vor einem Jahr auf sich aufmerksam gemacht, als Hauptfigur der Rettung von Mainz 05. Die
Geschichte trägt operettenhafte Züge und geht in ihrer Kurzfassung
so: Karkuth war erst Co-Trainer unter dem eigenwilligen Wolfgang
Frank, überwarf sich mit ihm, ließ sich an der Ferse operieren,
wurde nach der Gesundschreibung vom Klub beurlaubt. Ein paar Monate
später trat Frank von seinem Amt zurück, die akut
abstiegsbedrohten Mainzer erinnerten sich an den lauten Mann aus dem Pott,
der sprang ein, sorgte für den Klassenerhalt des Teams, um sich
gleich darauf endgültig mit dem Vorstand zu überwerfen.
Taugt so einer für die Sachsen? Auf seinem Schreibtisch
in Chemnitz steht ein pechschwarzes Stück Ruhrpott-Kohle, außerdem
ein durchsichtiges Plastikfläschchen, in dem in Formaldehyd
drei Teile seines herausoperierten Fersensporns schwimmen. Karkuth
erzählt von seinem schottischen Vorbild Jim McLean, der Dundee
United in den Achtzigern zur Meisterschaft und ins Uefa-Cup-Finale
führte. Karkuth hat in Dundee hospitiert, von McLean hat er
gelernt: „Wenn du hundert Prozent willst, musst du hundert Prozent
verlangen.
Hundert Prozent waren auch seine Vorgabe in Chemnitz. Als Karkuth
beim CFC anfing, hatte der Verein in der laufenden
Spielzeit zwei Trainer, einen Manager und einen Präsidenten verloren.
Die Mannschaft rangierte am Tabellenende. Symptomatisch für
den Verlauf der Saison: Der schon vor Wochen dazu geholte
Torwart Daniel Hoffmann, vor einem Jahr bei 1860 München, hat
weiterhin keine Freigabe seines bisherigen türkischen Klubs, erst
in diesen Tagen wird der Weltverband Fifa den Fall klären.
Karkuth aber steckte nicht auf. Er ließ Kondition bolzen,
bemühte sich um bessere Stimmung, baute den Kader mit ablösefrei
geholten Profis auf etlichen Positionen um – und im Trainingslager
in Portugal schlug die Mannschaft auf einmal Feyenoord Rotterdam 4:0.
Es folgte im ersten Punktspiel nach der Winterpause ein
überraschendes 0:0 in Hannover. Die Partie in Saarbrücken fiel aus. Und es
keimte Hoffnung. Denn da war doch dieser komische Typ aus dem
Westen, der Sprüche klopfte wie: „Ich bin als Spieler gut
gewesen, aber meine Trainer waren Scheiße. Deshalb bin ich Trainer
geworden.“ Oder: „Im Direktoren-Raum von Dundee United wurde hundert
Jahre nicht geraucht – bis ich da war.“ Einer wie ein kleiner
Neururer, wie ein überdrehter Daum. Einer, der keine Grenzen zu
akzeptieren schien, der verstörte, aber auch auflockerte.
Trotz der akuten sportlichen Not kann es interessant
sein, weiterhin nach Chemnitz zu schauen und zu beobachten, was dort
einer auf die Beine stellt, den sie bei seinen früheren
Trainerstationen (etwa beim damaligen Drittligisten Saarbrücken) als „akribischen
Arbeiter“ und „taktisch glänzend“ in Erinnerung haben – und auch als
„einen der größten Schwätzer, den wir je hatten“. Aber das war gar
nicht böse gemeint. Reden kann nicht jeder.
Bernhard Landwehr
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