Das CFC-Pressearchiv


Stuttgarter Zeitung vom 25.04.2001

Der sächsische Traditionsverein steht bereits als Absteiger in die Regionalliga fest - Dubiose Einkaufspolitik beschleunigt den Niedergang

Die traurige Geschichte des Chemnitzer FC

Der Fall Chemnitz zeigt, dass märchenhafte Aufstiege im ostdeutschen Fußball nicht im Dutzend gelingen. Dirk Karkuth versichert aber vor den Partien heute in Reutlingen (19 Uhr) und dem Heimspiel am Samstag gegen die Stuttgarter Kickers, den FC auch in der dritten Liga zu trainieren.

Vor einem Jahr brach bei diesem Witz noch Gelächter in der Kabine des Chemnitzer Fußball-Klubs aus: Manager Siegmar Menz betritt die Umkleide. Zuvor raste er von Erfurt aus über die Autobahn und schaffte die Strecke in neuer Rekordzeit. Allerdings sammelte er auf der Piste einen Punkt wegen Tempoüberschreitung ein. Also gibt er zum Besten: "Jungs, nehmt mich zum Vorbild, ihr müsst nur mal richtig Gas geben, dann wächst das Punktekonto ganz von allein.''

Dieser Ulk würde jetzt zu finsteren Gesichtern führen. Denn zum einen hat der Chemnitzer FC noch nicht einmal so viel Punkte (12), wie sie in der Flensburger Autosünderkartei zum Fahrverbot führen (18). Zum anderen ist Siegmar Menz nicht mehr im Amt. Menz gehört zu den Protagonisten der Geschichte des Chemnitzer Niedergangs. Er verließ den Klub wie so viele. Es gab freilich auch bessere Zeiten. Chemnitz, so glaubte man in Sachsen, könne im Windschatten von Energie Cottbus mithalten. Waren nicht auch die Lausitzer am Abstieg aus der zweiten Liga vorbeigeschrammt und hoben in der nächsten Saison zum Aufstieg an? Sollten beide Ostvereine also nicht Schulter an Schulter die große, westdeutsche Fußballwelt erobern? Cottbus ging allein. Chemnitz blieb zurück. Kehrte notgedrungen um. Virtuell spielen sie schon in Liga drei, auch wenn es zuletzt zwei Unentschieden gegen Mannheim und Nürnberg gab. Heute geht es gegen den SSV Reutlingen, am Samstag fahren die Stuttgarter nach Westsachsen. Das Hinspiel gewannen die Kickers mit 4:0.

Die Chemnitzer Krise offenbart, dass märchenhafte Aufstiege nicht im Dutzend gelingen. In Cottbus haben ein paar Alteingesessene die neue Zeit verstanden, Geschlossenheit in einer Runde mittelständischer Superossis zum Erfolgsrezept erklärt und mit dem knöchernen Trainer Eduard Geyer nüchtern über die Zukunft konspiriert.

Auch in Chemnitz glaubte man die neue Zeit verstanden zu haben. Zu genau, wie sich herausstellen sollte. In strukturschwachen Gegenden entscheiden Tugenden aus alten Tagen: das Kollektiv und Gemeinschaftsschwüre, nicht der frech geschwungene Dreizack der Raffkes, Gierschlunde und Profitgeier, denen die kurzfristige Kontoblähung alles ist, der langfristige Erfolg mit dem Verein jedoch wenig.

Der Präsident Lutz Waszik versuchte, das Eigeninteresse Einzelner in den Dienst des Klubs zu stellen. Doch er hatte es schwer, weil seine Kontakte nicht weit in die Fußballwelt hinaus reichten. Der Manager Menz kümmerte sich um die Verpflichtung fähiger Kicker. Irgendwann unterstellten ihm die Fans: "Mit deiner Einkaufspolitik brichst du Chemnitz das Genick.'' Menz tat sich vor allem in Jugoslawien und Bosnien um. Immer mehr "Balkankicker'', so die heimische Presse, kamen nach Chemnitz, ein lukrativer Nebenerwerb für den Manager.

Waszik, der sich kurzzeitig zurückzog, bemerkte: "Die Mäuse tanzen auf dem Tisch.'' Den Fanprotest konterte Menz damals forsch: "Diese Plakataktionen sind gesteuert, vermutlich vom Altpräsidium.'' Man warf längst nicht mehr mit Kieseln im Glashaus, sondern schmiss Wackersteine. Ein neuer Trainer sollte retten, was nicht mehr zu retten war. Der Menz-Kumpan Josip Kuze löste Christoph Franke im Herbst ab und versuchte sich am Aufschwung. Vergeblich. Schließlich verließ der gesamte Clan um Manager Menz den CFC, samt Trainer Kuze und Präsident Claus-Peter Nofri. Die besten Fußballer wie Marco Dittgen, Ervin Skela oder Nebosja Krupnikovic gingen auch.

Dirk Karkuth kam, als alles schon zu spät war. "Man hat 24 Stunden am Tag Profi zu sein'', sagt er angesichts der verfahrenen Situation, "das heißt, Krisen zu meistern und sich wieder aufzurappeln.'' Karkuth, der beteuert, auch in der dritten Liga für Chemnitz an der Seitenlinie stehen zu wollen, hat Erfahrung im Osten bei Stahl Brandenburg gesammelt. "Zu wenig Qualität'', diagnostizierte Karkuth. Um den Chemnitzer FC zu verstärken, verpflichtete er unter anderen Carsten Lakies. Lakies wurde durch eine Einwechslung beim FC Bayern München bekannt. Nachdem Jürgen Klinsmann zornig in die Tonne trat, durfte Lakies ran. "Bei unseren Spielen mit dem Chemnitzer FC könnten wir manchmal mehrere Tonnen zusammentreten'', sagt er.

Dirk Anders, auch ein Neuer, sagt: "Es darf sich momentan keiner beschweren, wenn wir nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.'' Für die Sonderbehandlung sei Karkuth genau der richtige Trainer: "Er zieht konsequent seine Linie durch. Ich kenne Trainer, die würden hier verrückt werden.'' Das sei kein Witz, versichert Dirk Anders.

Markus Völker

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