TAZ vom 19.03.2001
Beim Chemnitzer FC, dem Schlusslicht der zweiten Fußball-Bundesliga, wird für die Regionalliga geplant und für das Ziel, eines Tages doch noch den
Weg von Energie Cottbus einschlagen zu können
In die Tonne getreten
Vor einem Jahr brach bei diesem Witz noch schallendes Gelächter in der Kabine des Chemnitzer Fußballclubs aus: Manager Siegmar Menz betritt die
Umkleide. Zuvor raste er von Erfurt aus über die Autobahn und schaffte die Strecke in neuer Rekordzeit. Allerdings sammelte er auf der Piste einen
Punkt ein wegen Tempoüberschreitung. Also gibt er zum besten: Jungs, nehmt mich zum Vorbild, ihr müsst nur mal richtig Gas geben, dann wächst das
Punktekonto ganz von allein. Dieser Ulk würde jetzt zu finsteren Gesichtern führen. Denn zum einen hat der Chemnitzer FC noch nicht einmal so viele
Punkte (10), wie in der Flensburger Autosünderkartei zum Fahrverbot führen (18). Zum anderen ist Siegmar Menz nicht mehr im Amt. Der Manager
gehört zu den Protagonisten der Geschichte des Chemnitzer Niedergangs. Er verließ den Club inzwischen wie so viele.
Es gab auch bessere Zeiten. Chemnitz, so glaubte man in Sachsen, könne im Windschatten von Energie Cottbus mithalten. Waren nicht auch die
Lausitzer am Abstieg in der 2. Liga vorbeigeschrammt und hoben in der nächsten Saison zur Hausse an? Fühlte man sich den Energetikern nicht
regional verbunden? Sollten beide Ostvereine also nicht Schulter an Schulter die große, westdeutsche Fußballwelt erobern?
Cottbus ging allein. Chemnitz blieb zurück. Kehrte notgedrungen um. Virtuell spielen sie schon in Liga drei, am letzten Freitag wurde das entsprechende
Konzept präsentiert. Zahlreiche Spieler werden den Verein verlassen müssen. Auch die Partie gegen St. Pauli am Sonntag ging mit 0:3 verloren.
Morgen will Chemnitz gegen Rot-Weiß Oberhausen wenigstens das Gesicht wahren.
Die Chemnitzer Krise offenbart, dass märchenhafte Aufstiege nicht im Dutzend gelingen. In Cottbus haben ein paar Alteingesessene die neue Zeit
verstanden, Geschlossenheit in einer Runde mittelständischer Superossis zum Erfolgsrezept erklärt und mit dem knöchernen Trainer Eduard Geyer
nüchtern über die Zukunft konspiriert. Auch in Chemnitz glaubte man, die neue Zeit verstanden zu haben. Zu genau, wie sich herausstellen sollte. In
strukturschwachen Gegenden entscheiden Tugenden aus alten Tagen: das Kollektiv, Gemeinschaftsschwüre und Wagenburgen, nicht der frech
geschwungene Dreizack der Raffkes, Gierschlunde und Profitgeier, denen die kurzfristige Kontoblähung alles ist, der langfristige Erfolg mit dem Verein
jedoch wenig.
Präsident Lutz Waszik versuchte, das Eigeninteresse Einzelner, das im ostdeutschen Fußball virulenter grassiert als die Maul- und Klauenseuche, in den
Dienst des Clubs zu stellen. Doch er hatte es schwer, weil seine Kontakte nicht weit in die Fußballwelt hinausreichten. Manager Menz kümmerte sich
um die Verpflichtung fähiger Kicker. Irgendwann unterstellten ihm die Fans: "Mit deiner Einkaufspolitik brichst du Chemnitz das Genick". Menz tat sich
vor allem in Jugoslawien und Bosnien um. Immer mehr "Balkan-Kicker", so die heimische Presse, kamen nach Chemnitz, auch ein lukrativer
Nebenerwerb für den Manager. Waszik, der sich kurzzeitig zurückzog, bemerkte: "Die Mäuse tanzen auf dem Tisch." Den Fanprotest konterte Menz
damals forsch: "Diese Plakataktionen sind gesteuert, vermutlich vom Altpräsidium."
Man warf längst nicht mehr mit Kieseln im Glashaus, sondern schmiss Wackersteine. Ein neuer Trainer sollte retten, was nicht mehr zu retten war. Der
Menz-Kumpan Josip Kuze löste den wackeren Christoph Franke im Herbst ab und versuchte sich am Aufschwung. Vergeblich. Schließlich verließ der
gesamte Clan um Manager Menz den CFC, samt Trainer Kuze und Präsident Claus-Peter Nofri. Die besten Fußballer wie Marco Dittgen, Ervin Skela
oder Nebosja Krupnikovic gingen auch.
Dirk Karkuth kam, als alles schon zu spät war. "Man hat 24 Stunden am Tag Profi zu sein", sagt er angesichts der verfahrenen Situation, "das heißt,
Krisen zu meistern und sich wieder aufzurappeln." Karkuth, der beteuert, auch in der dritten Liga für Chemnitz an der Seitenlinie stehen zu wollen, hat
Erfahrung im Osten bei Stahl Brandenburg gesammelt. Dort leitete er von 1990 bis 1992 das Training.
"Zu wenig Qualität", diagnostizierte Karkuth nach seinem Amtsantritt schnell. Um den Chemnitzer FC zu verstärken, verpflichtete er unter anderen
Carsten Lakies. Lakies wurde durch eine Einwechslung beim FC Bayern bekannt. Nachdem Jürgen Klinsmann zornig in die Tonne trat, durfte Lakies
ran. "Bei unseren Spielen mit dem CFC könnten wir manchmal mehrere Tonnen zusammentreten", sagt er. Dirk Anders, auch ein Neuer, erklärt: "Es
darf sich momentan keiner beschweren, wenn wir nicht mit Samthandschuhen angefasst werden." Für die Sonderbehandlung sei Karkuth genau der
richtige Trainer: "Er zieht mit Konsequenz seine Linie durch. Ich kenne einige Trainer, die würden hier verrückt werden." Das sei kein Witz, versichert
Anders. Ernst zu nehmen ist auch diese Bemerkung von Präsident Lutz Waszik: "Wir wollen wieder Spitze werden in Mitteldeutschland." Wann das
sein wird? Er weiß es nicht.
Marcus Völker
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