Zwischen Canossagang, Fußballfeten und Chancen

15.12.2006 von Erik Büttner
Was war das nur für ein Fußballjahr! Selbst die himmelblauen Anhänger, die den FCK/CFC über seine fast 41 Lebensjahre begleitet haben, dürften wohl noch nie eine solche emotionale Achterbahnfahrt wie im Jahr 2006 miterlebt haben.

Lassen wir das in wenigen Tagen endende Jahr noch einmal gemeinsam vorüberziehen und werfen wir am Ende auch schon mal einen kurzen Blick voraus.

Szene nach dem Schlusspfiff Das Jahr begann mit einem Jubiläum. Der Chemnitzer FC feierte sein 40-jähriges Bestehen und hatte dazu ins Kino in der Galerie „Roter Turm“ eingeladen. Doch überschattet wurde der Geburtstag bereits von der sportlichen und wirtschaftlichen Krise, die bereits 2005 bzw. noch weit davor ihren Ursprung hatte.
Der CFC nahm die Hypothek von 4 Punkten Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz mit ins neue Jahr. Die Mission Klassenerhalt schien außerordentlich schwer, aber nicht unmöglich zu sein. Da die Vereinsführung Dietmar Demuth nicht mehr zutraute, dass er die Mannschaft wieder aus dem Keller holen könnte, übernahm Joachim Müller zum 2. Mal das Kommando auf dem zu sinken drohendem, himmelblauen Schiff. Und als wenn die Reise in die sicheren Fahrwasser nicht schon schwerlich genug war, so schlug der Winter auch noch unbarmherzig zu. Immer wieder einbrechender Schnee verhinderten nicht nur ein ordentliches Training in heimischen Gefilden, sondern auch bis Ende März einen Spielbetrieb auf der Fischerwiese. Herscharen von CFC-Fans kämpften mit Schneeschaufel und Eispickel gegen den Winter an, es half nicht viel. Nur in Jena und Essen konnte der CFC auf mehr oder weniger ordentlichen Plätzen zu Punktspielen antreten. An anderen Spieltagen mussten die himmelblauen Männer zuschauen, wie die Konkurrenz punktete und der CFC schließlich am Tabellenende landete. Als am 25. März 2006 endlich das erste Heimspiel des Jahres angepfiffen werden konnte, ruhten die letzten Hoffnungen auf dieser Partie gegen die um einen Platz besser postierten Amateure des 1. FC Köln. Chemnitz verlor und hatte damit eigentlich jegliche Chance auf den Klassenerhalt verspielt. Kühne Optimisten sahen 2 Wochen später nach dem 3:0 über die HSV-Amateure noch einmal ein Aufklimmen letzter Hoffnungen. Sie wussten noch nicht, das dies der letzte CFC-Sieg der Saison war.
Gleich einem Gang nach Canossa absolvierten die Himmelblauen die noch ausstehenden Partien, denn auf den Traversen der Fischerwiese regierte meist nur noch Hohn und Spott für die eigene Mannschaft. CFC-Trainer Müller konnte aus der Truppe nichts mehr herausholen. Eine Truppe, die aus rund 20 Spielern bestand, aber zu keinem Zeitpunkt der Saison eine Mannschaft war. Passend zum Drama der letzten Monate trug der Chemnitzer FC am 27. Mai 2006 sein (vorerst) letztes Spiel im Profifußball im Dauerregen von Wuppertal aus.

Wenigstens im Sachsenpokal rissen sich die Spieler in den himmelblauen Trikots zusammen. Die Leistungen in den Partien in Pirna und bei Sachsen Leipzig waren zwar ebenfalls eines Regionalligisten nicht würdig. Doch für Landesligist Pirna reichte auch ein mieser Auftritt und Oberligist Leipzig stellte sich einfach zu dumm an. Bemerkenswert war, dass im letzten Pflichtspiel der Katastrophensaison der VFC Plauen in dessen Stadion - relativ gesehen - souverän besiegt wurde. Die anschließende Siegesfeier der Mannschaft mit gut 1.000 CFC-Fans im Vogtlandstadion schien nicht wenigen übertrieben zu sein. Nur 2 Wochen zuvor hatten schließlich CFC-Anhänger mit einem Trauermarsch den Profifußball in Chemnitz zu Grabe getragen. Auch das war ein Ausdruck für die natürlich nicht gerade prächtige Stimmung in Chemnitz. Etliche sahen aufgrund der Vielzahl der in alle Himmelsrichtungen flüchtenden Spieler einen Durchmarsch in die Landesliga auf den CFC zukommen.

WM-Stimmung in einem Berliner Biergarten Aber zunächst war Sommerpause und eine Woche nach Chemnitz’ Pokalsieg begann ein Märchen. Am 9. Juni wurde die Fußballweltmeisterschaft in Deutschland angepfiffen. Der langersehnte Sommer kam gerade pünktlich und die DFB-Elf, der man nicht all zu viel zutraute, führte sich mit einem 4:2 gegen Costa Rica gut ein. Deutschland freute sich und wurde mit einem Schlag Fan der Nationalmannschaft. Schwarz-Rot-Goldene Fahnen wurden Mangelartikel und das ganzen Land verwandelte sich in eine einzige Partyzone. Als dann die DFB-Elf in letzter Minute Polen bezwang, da konnten sich nur noch die härtesten WM-Gegner dem kollektiven Freudenrausch entziehen. So manch Betriebskantine wurde zur Mini-Fanmeile, in den WM-Städten steppte der Bär und die Welt staunte über dieses gut gelaunte Deutschland. Die Männer von Teamchef Jürgen Klinsmann fertigte noch Ecuador ab und stand im Achtelfinale gegen Schweden.
Was die deutsche Elf in diesem Spiel und speziell in der ersten halben Stunde mit den Nordlichtern veranstaltete, hatte die schwarz-rot-goldene Fangemeinde seit Jahren nicht mehr gesehen. Am Ende stand nicht mehr nur eine Mannschaft, sondern eine begeisterte Nation im Achtelfinale gegen Argentinien. Auch die Gauchos vermochten die DFB-Auswahl nicht zu stoppen, auch wenn für die Entscheidung ein Elfmeterschießen herhalten musste. Nichts und niemand schien die Nationalmannschaft nun vom Titel abhalten zu können. Doch Deutschland erreichte das Final nicht. Das Land stürzte in Volkstrauer und Pizza wie Spaghetti verschwanden kurzzeitig von den Speisekarten.
Am Abend des 8. Juli 2006, 4 Tage nach der Halbfinalniederlage, konnte man nur noch mit offenem Mund auf der Straße stehen und über das stauen, was sich da in Deutschland abspielte. Schon einen Tag vorher hatten in Stuttgart Tausende die vor wenigen Tagen als Verlierer vom Platz gegangene Elf frenetisch gefeiert. Unbegreiflich war dann, dass der über Portugal erreichte 3. Platz der WM wie ein Finalsieg gefeiert wurde. Die Chemnitzer Brückenstraße vor dem „Nischl“ war in dieser Nacht komplett in Schwarz-Rot-Gold und ein Hupkonzert getaucht. Das eigentliche WM-Final am nächsten Tag wurde, zumindest von den Deutschen, zur Nebensache degradiert. Sie hatte schließlich ihr eigenes kleines Finale, das sie auch ausgiebig feierten.

4 Wochen später war die Feierstimmung etwas abgeflaut. Trübes Wetter hatte Deutschland überzogen und der CFC startete in Erfurts Norden auf einem tristen „Hinterhofsportplatz“ in den grauen Oberligaalltag. Wenigstens sprang im Dauerregen ein Einstandssieg durch ein Einstandstor von Neuzugang Steffen Kellig heraus.
Das reichte, um bei vielen Chemnitzern die immer noch glimmende WM-Begeisterung wieder aufflammen zu lassen. Und so standen um die 4.000 vor den Toren der Fischerwiese, als der CFC zu seinem erstes Oberligaheimspiel antrat. Mit diesem Andrang, ausgerechnet noch gegen das Sinnbild der Oberliga schlechthin, den ZFC Meuselwitz, hatte kaum einer gerechnet - auch nicht die Verantwortlichen des CFC und so brach an den unterbesetzten FiWi-Kassen Chaos aus. Die letzten passierten erst nach fast einer Stunde Wartezeit die Stadiontore. Der 3:2-Sieg über den ZFC und die folgenden 3 Siege in Liga und Landespokal beruhigten das etwas aufgebrachte Fanvolk schnell. Und so standen am 10. September über 6.000 auf den Rängen der Fischerwiese und staunten über eine himmelblaue Elf, die dem Bundesligisten aus Aachen in diesem DFB-Pokalspiel viel Mühe bereitete. Am Ende unterlag Chemnitz zwar 0:2, wurde aber von den Rängen wie ein Sieger gefeiert – WM-Stimmung Reloaded...

Jubelnde CFC-Spieler vor der Suedkurve
Dann kam der Herbst und die Stimmung in Chemnitz wurde etwas normaler. Im Block 3 wurde wieder über gelegentliche Fehlpässe und knapp neben das Tor gesetzte Schüsse gemeckert. In Halle und Zwickau gab es auf den Rängen ordentlich Radau – wenn auch anders, als es die „Kriegsberichterstatter“ von Presse, Funk und Fernsehen wider gaben. Für den CFC setzte es Niederlagen beim HFC, in Eilenburg sowie zu Hause gegen Plauen und die Himmelblauen flogen beim Tabellenletzten aus Auerbach aus dem Pokal.
Das alles aber konnte das immer noch aus WM-Zeiten glimmende Gute-Laune-Feuer nicht löschen. Und so feierten schließlich am letzten Spieltag des Jahres 2006 knapp 3.000 CFC-Fans auf der Fischerwiese im kalten Dauerregen einen eigentlich zu niedrig ausgefallenen 2:0-Sieg über Rot-Weiß Erfurt II überschwänglich.

Doch warum sollten die himmelblauen Anhänger auch nicht feiern? Analysiert man die 2. Jahreshälfte, so findet man etliche Gründe: Der CFC steht punktgleich mit dem Ersten auf Platz 2 der Tabelle und verwöhnte seine Fans am häufigsten aller Mannschaften der Staffel mit Siegen (11). Die junge himmelblaue Elf spielte die beste Halbserie seit der Frühjahrsrunde 1999, die schließlich mit dem Aufstieg endete. Chemnitz holte in den bisherigen 16 Spielen schon mehr Siege als jeweils in den 2 Spielzeiten davor (2004/05: 10, 2005/06: 4). CFC-Torwart Klömich kassierte die wenigsten Gegentreffer der Staffel, die Offensive ist auch dank dem Anführer der Torschützenliste, Steffen Kellig die Zweitbeste.

Der Bogen zur Fußball-WM lässt sich aber nicht nur über die Stimmung im Fanlager spannen. Erstaunliche Parallelen finden sich auch zwischen der National- und der CFC-Mannschaft - wenngleich beide leistungsmäßig weit auseinander liegen – das hat nicht zuletzt Sönke Wortmanns WM-Dokumentation „Deutschland. Ein Sommermärchen.“ gezeigt. Beiden Mannschaften wurde anfangs nicht gerade viel Vertrauen geschenkt. Doch die jungen Burschen begeisterten mit ihrer sympathischen Art und ihrem Offensivfußball nicht nur die eigenen Fans. Gleichzeitig zeichnet beide Teams ein großer Mannschaftsgeist aus, etwas, was man speziell in Chemnitz in der Saison 2005/06 stark vermisste. Doch beide mussten auch bitteres Lehrgeld bezahlen, die DFB-Elf im Halbfinale, die himmelblaue in Halle, Eilenburg und gegen Plauen. Das alles erschütterte aber weder die Mannschaft noch die Fans entscheidend.

Wie aber sieht nun der Weg in die Zukunft aus? Die deutsche Auswahl soll an dieser Stelle außen vor gelassen werden. Richten wir also den Blick auf die Mannschaft des Chemnitzer FC. Die Himmelblauen gehen als Tabellenzweiter in die Winterpause, doch Vereinsführung und Trainer wehren sich noch heftig gegen das Wort „Aufstieg“. Lediglich die Mannschaft deklarierte jüngst in Person von Kapitän Mike Baumann Platz 1 zum Saisonziel. Und auch nicht wenige himmelblaue Fans sehen den CFC lieber auf Platz 2 überwintern als an der Spitze.
Doch in Chemnitz sollte man sich demnächst dazu bekennen, dass man aufsteigen will. Jürgen Klinsmann hat es vorgemacht: Wenn man sich ein klares Ziel setzt und daran glaubt, dann kann man es auch erreichen. Und wenn es doch nicht klappt, dann ist auch keiner Böse, solang die Mannschaft nur alles, und ein bisschen mehr gegeben hat. Natürlich sollten aber die Risiken, die man für das Erreichen des gesteckten Zieles eingeht, kalkulierbar bleiben. Denn der Spielraum des finanziell weiter kranken CFC ist nach wie vor stark eingeschränkt. Und noch ein anderer Fakt spricht für das Ziel Aufstieg: Aus der Oberliga in die 3 Liga aufsteigen, das kann man nur noch in diesem Jahr. Im nächsten Jahr kann man nur noch das erreichen, was man selbst bei einer schlechten Regionalligasaison sicher hat: Die neue 4. Liga.
Das Potential den Aufstieg zu schaffen, hat die jetzige CFC-Mannschaft auf jeden Fall. Im Wege stehen nur teilweise Unerfahrenheit und fehlende Kaltschnäuzigkeit. Wenn es der himmelblauen Elf gelingt, dieses Manko abzustellen und die gute Stimmung über den Winter zu retten, ist in Chemnitz eine Neuauflage des „Sommermärchens“ möglich. Entscheidend wird sein, wie der CFC aus der Pause kommt. Gelingt ein ähnlicher Start wie zu Saisonbeginn, dann wird es für die Ligakonkurrenz schwer, die Himmelblauen noch aufzuhalten. Darum sollte auch viel Kraft in dieses Auftaktprogramm investiert werden.
Doch bis dato liegen noch 9 Wochen vor uns. Nutzen wir die freie Zeit um wieder mal ein Wochenende ganz im Familienkreis zu verbringen, etwas Ruhe zu finden und Kraft zu tanken, damit wir es dann im Frühjahr „krachen“ lassen können...

In diesem Sinne wünsche ich eine besinnliche Weihnachtszeit, einen guten Start ins Jahr 2007 und schöne (Aufstiegs-)Träume...