Weshalb es für Samstach gut aussieht...

Zum Spiel SG Wattenscheid 09 - Chemnitzer FC (3:0)
26.03.2002 von Ritter Runkel
Liebe Freunde des sowjetischen Actionkinos,

Was soll ich sagen? Da lächelt man tapfer im Bekanntenkreis, weil alle mitleidig staunen, wie man nur bei dem Wetter von München nach Chemnitz fahren kann - wegen eines Fußballspiels! Man lernt die Clubsurfer endlich mal in natura kennen, schwelgt in himmelblauer Erinnerung angesichts ungezählter siegreicher Derbies gegen den Schacht, trotzt tapfer dem Schnee von vorn und holt sich ein Knalltrauma, weil der Herb seinen Stimmbändern einen Verstärker nachgeschaltet hat. Und dann sowas. Ich kann mich an eine 2:5-Klatsche gegen den BFC erinnern. Das war zwar deftig, aber die Jungs sind mit fliegenden Fahnen untergegangen und nicht so uninspiriert wie am Samstag. Ich habe mich innerlich derart aufgeregt, daß ich einen Kabelbrand im Herzschrittmacher hatte. Ich hab alle möglichen Beruhigungsmittel probiert: Diebels, Warsteiner, Urquell (Prazdroj) und Budweiser (Budvar). Erst ein leckeres Altenmünster Franz-Josef-Jubelbier hauchte mir einen Schuß Optimismus ein. Da sich der Verein nun in einem sportlichen Zustand befindet, die dem langjährigen Oberligakenner bestens bekannt ist - nämlich, daß man im Niemandsland der Tabelle um die Goldene Ananas spielt - kann die Mannschaft nun bar jeglicher Last aufspielen und sich als Stolperstein für Hochambitionierte gerieren. Mein Wort in Gottes Ohr.

Übrigens hat die Schacht-Reserve am Sonntag auch noch 5:0 bei IFA Chemnitz gewonnen. Macht also 6 Punkte und 7:0 Tore für Wismut. Kein Wunder, daß die einäugigen Zapfenpflücker alle verkatert in der Gegend rumlungern. Und was die Statistik für den 30. März plusminus 4 angeht, fangen wir dort an, wo wir am Wochenende aufgehört haben.

30.03.1955: SC Wismut Karl-Marx-Stadt vs BSG Chemie Karl-Marx-Stadt 2:0

03.04.1965: BSG Lokomotive Stendal vs SC Karl-Marx-Stadt 3:1

02.04.1966: FC Rot-Weiß Erfurt vs FC Karl-Marx-Stadt 4:1

30.03.1968: BSG Wismut A** vs FC Karl-Marx-Stadt 1:0

27.03.1970: BSG Stahl Eisenhüttenstadt vs FC Karl-Marx-Stadt 2:1

01.04.1972: FC Rückwärts Frankfurt vs FC Karl-Marx-Stadt 4:3

31.03.1973: BSG Chemie Leipzig vs FC Karl-Marx-Stadt 0:0

30.03.1974: FC Rot-Weiß Erfurt vs FC Karl-Marx-Stadt 3:1

27.03.1976: Berliner FC Dynamo vs FC Karl-Marx-Stadt 4:0

29.03.1980: FC Rot-Weiß Erfurt vs FC Karl-Marx-Stadt 2:0

28.03.1981: FC Hansa Rostock vs FC Karl-Marx-Stadt 1:1

31.03.1984: Berliner FC Dynamo vs FC Karl-Marx-Stadt 4:2

29.03.1986: BSG Stahl Riesa vs FC Karl-Marx-Stadt 1:1

01.04.1987: SG Dynamo Dresden vs FC Karl-Marx-Stadt 3:1

26.03.1988: BSG Wismut A** vs FC Karl-Marx-Stadt 1:3

03.04.1990: Berliner FC Dynamo vs FC Karl-Marx-Stadt 0:0

02.04.1994: VfL Wolfsburg vs Chemnitzer FC 2:0

29.03.1997: FSV Velten 1990 vs Chemnitzer FC 0:2

31.03.1999: FC Sachsen Leipzig vs Chemnitzer FC 0:2

31.03.2000: SV Hannover 1896 vs Chemnitzer FC 2:0

(Offen gesagt habe ich mich in den letzten Minuten, während ich die Statistik zusammengefummelt habe, gefragt, ob die von mir gewählte Überschrift nicht ein bißchen hirnrissig ist.)

Die Mitleser aus dem Lila-Laune-Land, die anno dazumal immer rumschimpften, daß der Kampf Ihrer kleinen BSG gegen den übermächtigen FC ein unfairer sei, sollten mal einen Blick zurück ins Jahr 1955 werfen. Da gab es eine kleine BSG Chemie, deren Spieler Samstag für Samstag Bunsenbrenner, Titrationsgerät, Erlmeyerkolben und Lackmuspapier im Schrank einschlossen, um ihrem Hobby, der Balltreterei, nachzugehen. Und diese kleine BSG aus der Bezirkshauptstadt hatte sich als David der 2. Liga sensationell gegen sämtliche Goliaths (Chemie Lauscha, Motor Oberschöneweide, Fortschritt Hartha) durchgesetzt und mußte nun in ungeheuerlich wettbewerbsverzerrender Weise gegen die übermächtigen, permanent bevorzugten Sportclubs im Oberhaus kämpfen. Unter anderem auch gegen das Lieblingskind der Obrigkeit: den SC Wismut Karl-Marx-Stadt. Daß der Klassenerhalt gelang, wurde damals als 8. Weltwunder gefeiert.

Wie dem auch sei... hier soll es darum gehen, einen optimistischen Blick auf das bevorstehende Spiel zu werfen. Selbst die Streichung aller Spiele gegen Frankfurt und den BFC würde den Gesamteindruck nicht wesentlich verbessern, so daß ich an dieser Stelle davon absehen will. Außerdem müßte ich mir zwei Wochen Urlaub nehmen, wenn ich diese Niederlagenflut umdeuten wollte. Wir müssen uns der zugegebenermaßen komplizierten Materie vielmehr mathematisch-philosophisch nähern.

Nehmen wir zunächst die 50er Jahre: ein Spiel, eine Pleite. Die Anzahl der Spiele (= Probenmenge) ist nicht ausreichend für eine statistische Auswertung.

Nun zu den 60ern: 3 Spiele, 3 Niederlagen. Hier kann man schon Schlüsse ziehen. Die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage betrug damals satte 100%.

Die 70er: 5 Spiele, ein Remis, 4 Niederlagen. Niederlagenwahrscheinlichkeit gesunken auf 80%.

Die 80er: 6 Spiele, ein Sieg, 2 Remis, 3 Niederlagen. Die Niederlagenwahrscheinlichkeit sank weiter auf 50%, während die Siegwahrscheinlichkeit von 0% auf 17% stieg. Wahnsinn! (Ich würde ja gern dem historischen ersten Sieg in diesem Zeitraum aufgrund des Gegners viel mehr Raum geben, aber das verbietet sich nach den Geschehnissen des letzten Samstags.)

Die 90er: 4 Spiele, 2 Siege, 1 Remis, 1 Pleite. Die Niederlagenwahrscheinlichkeit liegt auf einem historischen Tiefstand von 25%, während die Wahrscheinlichkeit eines Sieges 50% beträgt!

Seitdem die Jahre mit einer 2 beginnen, wurde erst einmal gespielt, was wiederrum statistisch nicht verwertbar ist. Allerdings wird es nicht bei nur einem Spiel bleiben. Nach den Gesetzen der Dialektik entwickelt sich alles vom Niederen zum Höheren, oder mit anderen Worten: die Statistik kann nur verbessert, nicht aber verschlechtert werden. Mit noch anderen Worten: die Siegwahrscheinlichkeit muß in den Jahren 2000-2009 auf über 50% steigen, während die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage unter 25% sinken muß. Wenn wir nun annehmen, daß wir in jeder Saison am 30.3. plusminus 4 Tage ein Auswärtsspiel hätten, würde das 10 Spiele bedeuten. Nach den Gesetzen der Dialektik müssen wir davon mindestens 6 gewinnen und dürfen höchstens 2 verlieren. Da wir schon eins verloren haben, dürften wir also nur noch eines verlieren. Soweit die Theorie. Nun zur Praxis. Wenn wir aus bekannten Gründen die 50er Jahre mal vernachlässigen, müssen wir feststellen, daß wir in den 60ern bei 7 gewerteten Saisons 3 Spiele im betreffenden Zeitraum hatten hatten. In den 70ern waren es 5 Spiele in 9 gewerteten Saisons, in den 80ern 6 Spiele in 10 Saisons und in den 90ern 4 Spiele in ebenfalls 10 Saisons. Insgesamt (langjähriges Mittel!) stehen also 18 Spiele in 36 Saisons. Hier reicht ein 6-Klassen-Abschluß, um auf den ersten Blick feststellen zu können, daß der CFC bzw. seine Vorgänger nur alle zwei Jahre ein Auswärtsspiel in diesem Zeitraum hatten. Übertragen auf die kommenden Jahre bedeutet das, daß in den nächsten 7 Jahren nur noch 3 Spiele stattfinden werden (da ja 2000 schon eins stattgefunden hat und am Samstag eins ansteht). Wir wollen nicht so knauserig sein und großzügig davon ausgehen, daß wir nicht 5, sondern 8 Spiele haben. Das widerspricht zwar allen Erfahrungen und Statistiken, aber es könnte ja sein... Wenn wir in Wattenscheiß verlieren würden, wären das 2 von 8 Spielen = 25%. Wie oben bereits angemerkt muß sich aber nach den Gesetzen der Dialektik die Wahrscheinlichkeit einer Niederlage weiter verringern. Also können wir am Wochenende gar nicht verlieren! Ausgeschlossen! Geht gar nicht!! Ein Ding der Unmöglichkeit!!! Die Niederlagenwahrscheinlichkeit beträgt für Samstag stolze 0%. Die Siegwährscheinlichkeit liegt übrigens bei 71%, denn bei kalkulierten 8 Spielen müssen wir von den verbleibenden 7 Spielen mindestens 5 gewinnen. Das heißt aber auch, daß wir uns 2 Unentschieden gönnen können. Vergleicht man die zuletzt gezeigten Leistungen der beiden Mannschaften, wäre ein Remis nicht das schlechteste, was uns passieren könnte.

Ohne ein einziges Ergebnis zu schönen, habe ich durch konsequente Anwendung mathematisch-philosophischer Methoden nachgewiesen, daß uns goldene Zeiten bevorstehen. Mein Mathelehrer kann stolz auf mich sein; mein Stabülehrer hat nun die Gewißheit, daß nicht alles umsonst war.

Ritter Runkel.

Träger der Timur-und-sein-Trupp-Medaille in Himmelblau