Vor 90 Jahren: Als Chemnitz im Halbfinale der Deutschen Meisterschaft stand

23.07.2025, 06:15 Uhr | 1.110 Aufrufe
Die Abschlußtabelle der Gauliga Sachsen 1934-35Bevor wir am Wochenende in die himmelblaue Jubiläumssaison 2025-26 (am 15. Januar 2026 feiern wir den 60. Jahrestag der FCK-Gründung) starten, möchten wir hier an ein rundes Datum erinnern, welches noch 30 Jahre mehr auf dem historischen Buckel hat, aber in der Erinnerung der Stadt durch politische Umbrüche und historisches Desinteresse fast völlig ausgelöscht ist. Dabei war es ein sportliches Großereignis, welches die Industriestadt Chemnitz und deren Fußballer im gesamten Land damals ins Gespräch gebracht und landesweite Achtung erzeugt hat. Denn wir reden über das Halbfinale der Deutschen Meisterschaft von 1935, in welchem der Sachsenmeister PSV Chemnitz vor 90 Jahren keinem Geringerem als dem Titelverteidiger Schalke 04 gegenüber stand!

Sächsischer Fußballmeister PSV ChemnitzWir springen in die Saison 1934-35, der PSV spielte seine erste Saison in der neuen Heimstätte, der heutigen Fischerwiese. Die Spielstätte war im Mai 1934 feierlich mit dem Spiel gegen die renommierte SpVgg Fürth (5:1) eröffnet worden, kurz darauf war auch der FC Madrid (Real Madrid) zu Gast und durfte mit einer 5:2-Niederlage bedröppelt wieder abziehen. Der Polizeisportverein legte eine glänzende Saison hin und entriss dem Dresdner SC den sächsischen Meistertitel. Allein an der Gellertstraße wurden in den 9 Heimspielen 8 Siege und ein Remis eingefahren, die Konkurrenz mit 39:6 Toren (Heimbilanz) regelrecht aus dem Stadion geballert. Bekanntester Kicker der damaligen Zeit war der Stürmerstar Erwin Helmchen, 1928 aus Cottbus nach Chemnitz gekommen. Der städtische Konkurrent Chemnitzer BC spielte damals keine Rolle mehr, er war in der Saison 1933-34 aus der neu geschaffenen sächsischen Gauliga abgestiegen.

Die damals führende Sportzeitung mit Erwin Helmchen auf dem TitelblattAls sächsischer Meister ging es für den PSV in die deutsche Endrunde zur Ermittlung des Deutschen Meisters des Jahres 1935. Die Ermittlung des Titelträgers geschah nach folgendem Prinzip: Die 16 deutschen Gaumeister (Bayern, Sachsen, Hessen, Baden, etc.) wurden in vier Vierergruppen gepaart, zwischen den Teams gab es jeweils ein Hin- und Rückspiel (insgesamt 6 Spiele), und nur die Erstplatzierten aus dieser Vorrunde zogen direkt in das anschließende Halbfinale ein. Der PSV erwischte die Gruppe A und musste sich mit den Meistern aus Brandenburg (Hertha BSC), Schlesien (Vorwärts-Rasensport Gleiwitz) und Ostpreußen-Danzig (Yorck Insterburg) duellieren. Am 3. Spieltag verlor der PSV daheim mit 1:2 gegen Hertha, und alles sah nach einem Gruppensieg der Berliner aus. Aber die Polizisten drehten den Spieß um und besiegten am 5. Spieltag im Berliner Poststadion vor 35.000 Zuschauer die Hertha mit 2:1! Damit war in der Gruppe A wieder alles offen, und der PSV sicherte sich am 6. Spieltag mit einem satten 8:1 in Insterburg den Staffelsieg vor der Hertha!

Der Endstand in den vier Vorrunden-Gruppen - der PSV ist im HalbfinaleMit diesem Gruppensieg stand fest: Der PSV Chemnitz steht im Halbfinale um die Deutsche Meisterschaft! Die drei anderen Gruppensieger waren Schalke 04 (Meister Westfalen), VfL Benrath (Meister Niederrhein) und der VfB Stuttgart (Meister Württemberg). Der DFB setzte für den 2. Juni 1935 folgende Halbfinalpartien an: Schalke gegen Chemnitz (in Düsseldorf) und Stuttgart gegen Benrath (in Leipzig). Damit hatte Chemnitz nun wahrlich kein Ansetzungsglück gehabt - weit auswärts in der Ferne und dann noch gegen den schwersten Gegner, den Titelverteidiger! Aber bange machen galt damals nicht und die Grün-Weißen fuhren vollen Mutes gen Düsseldorf, ins Rheinstadion. Letztlich hielt man gegen den berühmten "Schalker Kreisel" überraschend gut mit und bekam lobende Kritiken nach dem Spiel. Die Chemnitzer Polizisten hatten sich mit einem beachtlichen 2:3 teuer verkauft und für große Aufmerksamkeit gesorgt. Die beiden Tore für die Polizeisportler erzielte natürlich - tata, Überraschung - Erwin Helmchen.

Der Spielbericht aus dem Riesaer Tageblatt, Nr. 127 vom 3. Juni 1935

Schalke 04 schlägt PSV Chemnitz 3:2 (3:1)

Anstoß in Düsseldorf: Die beiden Kapitäne und Schiedsrichter Hans KalbDas Düsseldorfer Rheinstadion hatte am Sonntag einen großen Tag. Schon während des Vormittages und der Mittagsstunden setzte der Zustrom der Massen ein, beim Anpfiff hatten sich 45.000 Zuschauer eingefunden. Beide Mannschaften traten in der stärksten Besetzung an, Schalke u. a. wieder mit Kuzorra. Der Anhang der Chemnitzer war mit grün-weißen Fähnchen erschienen. Das Spiel begann unter der Leitung von Hans Kalb (Nürnberg) gleich mit einer großen Überraschung, denn noch vor Ablauf der ersten Minute führte Schalke durch einen von Urban ausgeführten Strafstoß [Anmerkung: Heute = Freistoß], den Kallwitzki mit dem Kopf verlängerte, mit 1:0. Dann gab es ein ausgeglichenes Spiel, in dem die deutsche Meisterelf weitaus die technisch bessere Mannschaft war, während sich die Chemnitzer durch Kampfesfreudigkeit auszeichneten. Schalke erzielte auch die erste Ecke. In der 16. Minute konnten die Chemnitzer den Ausgleich erzielen. Eine Steilvorlage von Munkelt gelangte an Helmchen, der von dem Westfalenverteidiger Bornemann angegriffen wurde, sich aber rücksichtslos [Anmerkung: Heute = energisch] durchsetzte und an dem herauslaufenden Torwart vorbei glatt einschoß. Zwei Ecken für Schalke blieben darauf ergebnislos. Die Westfalen zeigten schon wieder ihr schönes aber übertriebenes Kombinationsspiel, scheinbar wiegten sie sich schon in zu großer Siegessicherheit. In der 26. Minute konnte Schalke abermals in Führung gehen. Poertgen hatte schön zu Kuzorra gepaßt, der den Ball aufnahm und unhaltbar einschoß. Schalke lag weiter im Angriff, Czepan besorgte den Aufbau, während bei den Chemnitzern beide Innenstürmer den Angriff vorwarfen [Anmerkung: Heute = nach vorn warfen], ohne dabei aber das W-System zu übertreiben. Eine meisterhafte Kombination von Schalke schraubte in der 35. Minute den Vorsprung auf 3:1. Der Ball ging von der Mitte aus im Zickzack durch die gegnerischen Reihen, wobei kein Chemnitzer den Ball berühren konnte. Czepan setzte den Linksaußen Urban in Fahrt, dessen Flanke Kallwitzki unhaltbar verwandelte. Fünf Minuten vor der Pause kamen die Chemnitzer stark auf, ohne zählbare Erfolge zu erzielen.

Spielszene Schalke-PSV: Weggel im PSV-Tor klärt gegen UrbanNach Wiederbeginn spielte Schalke stark auf Verteidigung. Beide Innenstürmer waren zurückgezogen, Czepan baute weiterhin hervorragend auf. Chemnitz wurde stark bedroht, Weggel kann einmal nur in letzter Sekunde retten. Kuzorra schießt dann knapp über die Latte. Auf der anderen Seite hielt Mellage einen Kopfball von Helmchen. Chemnitz stürmte mit fünf Mann, aber die Schalker Abwehr hatte einen guten Tag. In der 23. Minute [Anmerkung: Heute = 68. Minute] konnten die Sachsen den Abstand verringern. Bei einem Vorstoß und Schuß des Linksaußen hielt Mellage das Leder nicht fest genug, Helmchen schießt, doch lenkte ein Verteidiger den Ball mit der Hand übers Tor. Den Elfmeter verwandelte Helmchen sicher. Die deutsche Meisterelf war durch diesen Erfolg etwas aus dem Konzept gekommen, die Angriffe wurden zu engmaschig vorgetragen. Die letzten 10 Minuten brachten noch für beide Mannschaften Torgelegenheiten, aber hüben wie drüben waren beide Torwächter nicht zu überwinden. Das Spiel flaute ab und endete matt. Immerhin war der Sieg der Schalker verdient, wenn man auch in der zweiten Hälfte allgemein bessere Leistungen erwartet hatte. Die beste Zeit hatte der deutsche Meister eine halbe Stunde vor der Pause, in der die Mannschaft ein fehlerfreies Spiel hinlegte. Die Westfalen hatten in Czepan und Kuzorra ihre besten Leute, denen Kallwitzki nicht viel nachstand. In der Läuferreihe machte Tibulski die beste Figur. Die Chemnitzer überraschten nach der angenehmen Seite, man hatte dem Sachsenmeister so viel Können gar nicht zugetraut. Es spricht viel für sie, daß sie sich nach dem 1:3-Stand noch einmal gewaltig aufrafften und alles versuchten, um den Sieg der Schalker zu gefährden. Das Spiel der Chemnitzer war jedoch leider zu sehr auf Helmchen zugeschnitten, der auch beide Tore erzielte. Nach ihm sind Weggel im Tor und Mittelläufer Reicherdt zu nennen.

Schalke 04: Mellage - Bornemann, Schweisfurth - Nattkämper, Poertgen, Tibulsky, Gellesch - Kalwitzki, Urban, Szepan, Kuzorra
PSV Chemnitz: Weggel - Boch, Lieberwirth - Kiehl, Müller, Reicherdt - Friedemann, Munkelt, Mädler, Schneider, Helmchen
Tore: 1:0 Kalwitzki (1.), 1:1 Helmchen (16.), 2:1 Kuzorra (26.), 3:1 Kalwitzki (35.), 3:2 Helmchen (68.)
Zuschauer: 45.000 im Düsseldorfer Rheinstadion


Im anderen Halbfinale schlug der VfB Stuttgart den VfL Benrath mit 4:2. Im Endspiel in Köln (Müngersdorfer Stadion) standen sich am 23. Juni 1935 der FC Schalke 04 und der VfB Stuttgart gegenüber, und die Knappen behielten mit 6:4 die Oberhand. Der kleine Trost für den PSV war also: Man war am amtierenden und neuen Deutschen Meister gescheitert. Eine äußerst respektable Leistung. Erst der FCK (DDR-Meister 1967) und der CFC (DFB-Pokal-Halbfinale 1993) vermochten die Stadt Chemnitz im Fußball jemals wieder soweit in die überregionalen deutschen Schlagzeilen zu bringen.

Quellen: Dresdner Neueste Nachrichten 1935 (SLUB), Riesaer Tageblatt 1935 (SLUB), Ausgaben der Fachzeitschrift Fußball 1935 (Privat)

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