Österreicher Harnik schießt Chemnitz ab
von Erik Büttner
Schade, es hat nicht geklappt mit der Sensation. Doch die Himmelblauen waren ganz nahe dran. Und es spricht nicht gerade für einen ambitionierten Bundesligisten, wenn ein Österreicher gegen einen Viertligisten die Kohlen aus dem Feuer holen muss.
Dass diese DFB-Pokalpartie gegen den VfB Stuttgart etwas Besonderes werden würde, war spätestens nach knacken der 10.000`er Marke an verkauften Tickets schon vor Wochen klar. Und so wurden es dann auch sensationelle 17.145 Zuschauer, die am späten Mittwochabend die Fischerwiese auf ihre alten Tage fast aus den Nähten platzen ließen. Leider verzichteten die Stuttgarter auf reichlich 1.000 Karten ihres Kontingentes, so dass Stadionsprecher Olaf Kader nur bei den Chemnitzer Blöcken "ausverkauft" melden konnte. Und dort waren schon 1 Stunde vor dem Anpfiff mindestens so viele Menschen auf den Rängen, wie sonst zu 2 normalen Regionalligaspielen. Immer wieder wurde das Publikum zum Nachrücken aufgerufen, weil noch viele Leute auf den Treppen stünden.
Unbeirrt dessen und einer tollen Choreographie der Südkurvenfraktion pfiff Schiedsrichter Günther Perl aus Pullach (Bayern) um Punkt 20:30 Uhr an. Es folgte eine Phase der optischen Übermacht Stuttgarts. Chemnitz zeigte sich zunächst abwartend, um einen frühen Rückstand zu vermeiden. Diese defensiv ausgerichtete Strategie ging auch auf, denn der Bundesligist mühte sich reichlich, um wenigstens ein paar wenige Chancen herauszuarbeiten. Immer wieder waren an denen dann Ciprian Marica beteiligt, der im Laufe des Abends Philipp Pentke als seinen größten Widersacher entdecken sollte. Die Himmelblauen vermochten es in dieser Phase nicht, nennenswerte Offensivaktionen zu produzieren. Zu gut aufgeteilt stand der Bundesligist auf dem Feld, spielte zudem seine Ballsicherheit und Reaktionsschnelligkeit aus. Vielleicht lag es auch daran, dass Christian Fröhlich angeschlagen war und nach reichlichen 30 Minuten schon wieder runter vom Feld musste - Dobry ersetzte ihn. Und auch wenn der Ball kurz vor dem Seitenwechsel im Chemnitzer Netz zappelte, so ging es doch mit 0:0 in die Kabinen. Denn Schiri Perl hatte richtig gesehen, dass Marica Trehkopf unmittelbar vor dem vermeintlichen Tor weggeschubst hatte und Förster im Gegenzug zu lange überlegte, anstatt einfach mal draufzuhauen.
Als die 11 Stuttgarter aus der Pause kamen, da konnten sie wohl noch nicht ahnen, dass ihre himmelblauen Widersacher gleich ihre wohl besten 45 Minuten der letzten Jahre ableisten würden. Doch zunächst durfte sich noch einmal Pentke bei einem Freistoß von... na klar, Marica auszeichnen. Nun bekam Chemnitz Aufwind und bei Stuttgart machte sich Verzweiflung breit. Ausdruck dessen: die gelbe Karte wegen Ballwegschlagens für den italienischen Ex-Weltmeister Mauro Camoranesi, der ansonsten so farblos blieb, dass manch Zuschauer sogar seine Auswechslung verpasste. Chemnitz spielte sich angetrieben von den nun auch akustisch spürbaren 17.000 in einen Rausch. Peßolat hatte die Führung auf dem Kopf, zog den Ball aber knapp neben den Pfosten. Es war jetzt ein richtig rassiges Spiel mit einem ständigen Hin und Her. Denn auch der VfB hatte immer wieder gefährliche Aktionen, eine davon mit Folgen: Schaschko fuhr gegen Gebhart im Strafraum das Bein aus - Elfmeter für den VfB! 2 Minuten später wünschte sich Stuttgart, Perl hätte nicht gepfiffen. Denn wieder blieb Pentke gegen Marica Sieger, auch wenn der Pfosten mithalf. Und aufgepuscht durch die Euphorie vernaschte Dobry an Stuttgarts Grundlinie seinen Gegenspieler, legte für Förster auf, der einfach cool ins lange Stuttgarter Toreck einschob. Der explosive Jubel der Massen ließ die Fischerwiese und den Sonnenberg erbeben, wie seinerzeit Vulkanausbrüche im Zeisigwald. Und Chemnitz wollte mehr. Keine 2 Minuten später musste sich VfB-Torwart Ulreich sehr lang machen, um wieder gegen Förster zu retten.
Getrübt wurde die Stimmung jedoch durch den Ausgleich vom eingewechselten Harnik. Der österreichische Nationalspieler schien an diesem Abend der einzige Schwabe mit richtig Bock zum Fußballspielen zu sein und hämmerte den Ball volley an Pentke vorbei in die Maschen. Aber die Himmelblauen war nicht geschockt, waren drauf und dran, trotzdem das Spiel zu gewinnen: Richter schoss nach Ecke aus 4 Metern über das Tor, Schaschko scheiterte nach schönem Zuspiel am Torwart und schließlich lupfte Garbuschewski schon in der Nachspielzeit den Ball einen Tick zu niedrig.
Aber immerhin war der Bundesligist in die Verlängerung gezwungen. In der passierte zunächst 5 Minuten nichts. Dann zog Richter gegen Pogrebnyak eine nötige Notbremse und flog vom Platz. 10 müde Chemnitzer mit Kämpferherz stemmten sich nun gegen das drohende Gegentor. Das ging noch gut bis nach dem erneuten Seitenwechsel, dann schlug wieder der unbarmherzige Österreicher zu. Jetzt fehlte aber dem CFC die Kraft noch einmal zurückzukommen. Und so war das 3. Tor Harniks dann auch eher Makulatur, denn eine Entscheidung.
Doch bezeichnend, wie schnell Stuttgart in der Kabine verschwunden war, während die himmelblauen Spieler sich im Rund ihren Beifall abholten. Zwar waren sie geschlagen, doch sie hatten die Sensation auf dem Fuß. Es fehlte ein wenig an der Kaltschnäuzigkeit und genau das war der Unterschied zu Stuttgart mit seinem Österreicher. Doch etwas Positives bleibt aus der Niederlage: Der CFC kann sich nun wieder mit voller Kraft auf die Regionalliga und die Spitzenplatzverteidigung konzentrieren. Denn auch wenn alle das Gegenteil beteuert haben, ein Stückweit war die Pokalbegegnung im Kopf und sicher auch nicht unschuldig an der unnötigen Niederlage gegen Kiel...
Wertung: 2 - Ein geiler Pokalabend, dem nur das richtige Ergebnis fehlte.
Beste Himmelblaue: Pentke, Löwe, Wilke, Peßolat
Pressestimmen
Freie PresseCFC schnuppert an der Sensation
[..] In der 2. Hauptrunde des DFB-Pokals setzte sich der VfB Stuttgart erst nach Verlängerung mit 3:1 (1:1, 0:0) gegen den Tabellenführer der Regionalliga Nord durch. 17.145 begeisterte Zuschauer im Stadion an der Gellertstraße erlebten einen packenden und dramatischen Pokalabend, der vielen noch lange in Erinnerung bleiben wird. Am Ende setzte sich die Cleverness der Stuttgarter durch. Mit mehr Herz spielte der CFC. [..] Nach dem Seitenwechsel entwickelte sich die Partei zu einem dramatischen Pokalfight. Im Mittelpunkt stand wie schon in der ersten Pokalrunde gegen den FC St. Pauli Torhüter Pentke. Der Teufelskerl brachte die prominente Stuttgarter Stürmerreihe fast zur Verzweiflung. [..] Dann kam die große Tat des Benjamin Förster, der die 17.145 Zuschauer in einen Jubelchor versetzte. Pavel Dobry hatte sich auf der rechten Seite durchgesetzt, flankte zu Förster und der 20-Jährige traf aus Nahdistanz (73.) zum 1:0. Der Bundesligist musste danach alles auf eine Karte setzen und hatte Erfolg. [..]
Stuttgarter ZeitungHarnik bewahrt den VfB vor der Blamage[..] Auch nach der Pause präsentierte sich der VfB in ganz schwacher Verfassung. Zu durchschaubar, zu statisch war das Spiel des Bundesligisten, bei dem der völlig enttäuschende Camoranesi bis zu seiner Auswechslung nur dadurch in Erscheinung trat, dass er wegen Wegwerfens des Balles Gelb sah. Also wurde Chemnitz immer mutiger und kam nach einer Stunde zur bislang besten Chance: Glänzend reagierte der VfB-Torwart Sven Ulreich beim Kopfball von Benjamin Förster. Das Spiel nahm nun Fahrt auf. Marica scheiterte freistehend an Pentke (66.) und vergab kurz darauf eine noch größere Chance: Nach einem Foul an Gebhart im Strafraum setzte der Stürmer den fälligen Strafstoß an den Pfosten. Und noch ehe sich der VfB davon erholt hatte, folgte im Gegenzug das 0:1 durch Förster (73.). Es spricht zwar für die VfB-Mannschaft, dass sie schnell reagierte und nach Vorlage von Bicakcic durch den kurz zuvor eingewechselten Harnik zum Ausgleich kam (78.). Es spricht aber ganz eindeutig gegen sie, dass Chemnitz danach zu klarsten Chancen kam und in den letzten Minuten der regulären Spielzeit leichtfertig den Sieg verschenkte. Einmal rettete Molinaro auf der Linie, dann war Ulreich zur Stelle. [..]
Stuttgarter NachrichtenSuper-Joker Martin Harnik erlöst VfB[..] "Wenn ich reinkomme, will ich etwas bewegen. Das gelingt mir zurzeit ganz gut", sagte Harnik. Das besänftigte dann auch Jens Keller. "Wir können mit unserem Auftreten nicht zufrieden sein", monierte der Trainer, "aber Harnik war heute wieder Gold wert. Nicht viele können von außen so viel bewegen wie er." Auch Serdar Tasci war erleichtert: "Zum Glück kam Martin rein und hat das Spiel noch gedreht." Das war auch bitter nötig. Denn die Chemnitzer quälten die Roten bis aufs Blut - weil die es zuließen. Drei Spiele in Folge hatte der VfB zuletzt nicht verloren, doch mehr Sicherheit verlieh ihnen das nicht. Sie stolperten und stümperten über weite Strecken vor sich hin. Das lag auch daran, dass Chemnitz bei gegnerischem Ballbesitz ein Bollwerk bildete, gegen das der VfB kaum ein Mittel fand. Ohne Ideen rannten die Roten an und ließen sich durch das giftige Auftreten des Außenseiters den Schneid abkaufen. [..]
MDR-OnlineCFC stark, aber nicht stark genug[..] Dennoch: Der CFC zeigte eine starke, couragierte und taktisch einwandfreie Leistung. Stuttgart war spielerisch natürlich besser. Aber die "Himmelblauen" präsentierten alles andere als Rumpelfußball, gewannen viele Zweikämpfe und verteidigten geschickt. Selbst die Angriffe konnten sich sehen lassen. In der zweiten Halbzeit war ein Klassenunterschied nicht, ein Dreiklassenunterschied schon gar nicht zu sehen. Dazu kam Glück, denn Stuttgarts Marica schoss einen Foulelfmeter nur an den Pfosten. Unmittelbar danach nutzte Förster in der 73. Minute nach Vorarbeit von Dobry seine dritte dicke Chance zur umjubelten CFC-Führung. Doch dann wechselte Stuttgarts Trainer Keller besagten Harnik ein. Er war es auch, den Richter in der 95. Minute nur mit einer Notbremse stoppen konnte. [..]
Kicker-OnlineRegionalligist Chemnitz vergibt zahlreiche TorchancenLange Zeit tat sich der VfB Stuttgart beim Regionalligisten Chemnitzer FC sehr schwer, vergab einen Strafstoß und lag danach sogar mit 0:1 zurück. Doch der eingewechselte Harnik rettete die Schwaben gegen selbstbewusste Sachsen zunächst in die Verlängerung und sorgte nach einem Platzverweis für CFC-Kapitän Richter mit zwei weiteren Treffer für den Achtelfinaleinzug des Bundesligisten. [..] Nur in den ersten Minuten zeigte Chemnitz Respekt vor dem Europa-League-Teilnehmer. Einen ersten Distanzschuss von Gebhart hielt Pentke aber souverän (3.), auch gegen Marica, der aus spitzem Winkel frei vor dem CFC-Tor zum Abschluss kam parierte der Keeper sicher (4.). Danach bissen sich die Sachsen immer besser in die Partie. [..]
Eßlinger Zeitung Mit Ach und Krach an der Blamage vorbei[..] Regionalliga-Tabellenführer Chemnitzer FC wäre für den Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart fast zum Stolperstein im DFB-Pokal geworden. Aber nur fast. [..] Der Viertligist, der in der ersten Runde Bundesliga-Aufsteiger FC St. Pauli aus dem Pokal geworfen hatte, zeigte sich von Trainer Gerd Schädlich bestens eingestellt und begann aggressiv in den Zweikämpfen, spielte mit hoher Laufbereitschaft und präsentierte immer wieder ansehnliche Kombinationen. Stuttgart war vor allem auf der rechten Seite anfällig für Sturmläufe der Chemnitzer. [..] Auch in der zweiten Hälfte spielten die Sachsen munter mit, der VfB fand kaum Mittel. Stuttgart kam zwar aggressiver aus der Kabine und hatte durch Marica (47.) erneut die Chance zur Führung, doch der Rumäne scheiterte immer wieder am überragenden CFC-Torhüter Phillip Pentke, so auch in der 66. Minute. Am Ende der regulären Spielzeit waren die Chemnitzer dem Sieg sogar näher. [..]
Trainerstimmen
Gerd Schädlich (www.vfb-stuttgart.de):"Wir waren in der ersten Hälfte zu ängstlich, in der zweiten Halbzeit haben wir es dann besser gemacht und hatten eine gute Phase. Nach dem 1:0 hätten wir sogar noch das 2:0 machen können. Unterm Strich hat der VfB dann aber verdient gewonnen. Die rote Karte für Andreas Richter war der Knackpunkt für unser Spiel. In Unterzahl war es noch schwerer, gegen den VfB zu spielen. Die cleverere Mannschaft hat gewonnen. Wir dürfen uns jetzt nicht zu lange mit dem guten Spiel beschäftigen, sondern müssen uns auf das schwere Spiel am Wochenende gegen Magdeburg konzentrieren. Unser Fokus liegt ganz klar auf der Regionalliga und dem Aufstieg."
Jens Keller (www.vfb-stuttgart.de)"Natürlich können wir nicht zufrieden sein mit dem, was wir heute gespielt haben. Aber so ist eben ein Pokalwettbewerb, und das macht ihn auch aus. St. Pauli ging es genauso gegen die starken Chemnitzer. Teilweise haben wir uns das Leben auch selbst schwer getan. Von den Chancen, die wir hatten, müssen wir eben eine machen. Dann haben wir es viel einfacher. Aber ein riesen Kompliment an Chemnitz. Die Spieler haben uns alles abverlangt. Vor der Verlängerung habe ich dem Team verdeutlicht, dass wir als Bundesligist körperlich fitter sein müssen und das Spiel vorzeitig gewinnen wollen. Martin Harnik ist für mich auf der Bank Gold wert. Ich kenne kaum einen, der, wenn er hereinkommt, so viel bewegen kann."