Abstiegsendspiel gegen "Störche im Freiflug aus der Abstiegszone"...
von Timo Görner
...denn der Kieler SV Holstein, welcher gemeinhin als "Die Störche" bezeichnet wird, befindet sich seit 5.10.2002 eben auf so einem Flug aus dem größten Abstiegsschlamassel. An diesem Tag gelang mit einem 3:0 bei den Amateuren des Hamburger SV quasi der sportliche Befreiungsschlag in einer bis dato desolaten und deprimierenden Saison mit bescheidenen 3 Punkten aus 10 Spielen, darunter das 2:3 zu Hause gegen den CFC. Ziemlich dürftig für eine Mannschaft, die man vor der Saison zu den Geheimfavoriten auf den Aufstiegskampf gezählt hatte nach Verpflichtung von Spielern wie im Vorbericht des Hinspiels erwähnt.
Was in den 10 Spielen bis Hamburg allerdings den Verlauf der Saison bestimmte, waren u. a. 27 Gegentore in 10 Spielen bei 17 Gegentoren zwischen Runde 6 und 9 und kein einziger Sieg. Dazu kam das Problem "Schock" in der Person des Trainers und auch ansonsten eindeutigen sportlichen Herrschers beim KSV mit dem gesundheitsbedingten Ausfall von Gerd-Volker Schock. Für ihn übernahm schon vor dem Spiel gegen den CFC Daniel Jurgeleit das Amt des Coaches, erstmal als Interimslösung, aber wohl auch mit Hinblick auf eine längerfristige Beschäftigung, falls sich unter seiner Leitung die Saison nach den Ansprüchen des Vereins günstig entwickeln sollte.
Dem war nicht so. Nach dem 9. Spieltag mit dem 0:4 bei Rot-Weiß Essen zog die KSV-Chefetage die berühmte Reißleine und holte sich mit
Hans-Werner Moors einen erfahrenen und in der Vergangenheit im Regionalliga- und Zweitligafußball durchaus erfolgreichen Trainer mit einer gewissen norddeutschen Bodenständigkeit ins Haus.
Die Verpflichtung des 52-jährigen erwies sich bislang durchaus als Glücksgriff der Kieler, denn seit seinem Amtsantritt am 16.09.2002 wurden in den folgenden 13 Spielen bemerkenswerte 23 Zähler gezeitigt. Samit ist man in dieser Ägide immerhin das fünftbeste Team, noch vor Mannschaften wie Aue oder den Werder- und BVB-Amateuren und leider auch klar vor dem CFC mit seinen mickrigen 11 Punkten. Dabei hat man sogar noch 1 Spiel weniger absolviert, da die Begegnung vom 21. Spieltag beim SV Babelsberg 03 abgesagt wurde.
Lediglich 2-mal wurde unter der Leitung von Moors noch verloren (0:4/A RW Essen und 0:1 zu Hause gegen Staffelfavorit VfL Osnabrück am 17. Spieltag). Ansonsten immerhin 6-mal gewonnen, u. a. fuhren der FC Erzgebirge Aue (0:1), Dynamo Dresden (1:2) und die Amateure des SV Werder Bremen (2:3) ohne Zähler wieder in die Heimat. Auswärts ist man unter Moors sogar noch ungeschlagen und sammelte fleißig wie ein Eichhörnchen Punkt für Punkt mit insgesamt 3 Remis und dem 3:0 in Hamburg. Somit setzte man sich erstmal am 13. Spieltag vom Tabellenende ab und übergab die "Rote Laterne" an die FC-Amateure aus Köln, die man zuvor 8 Spieltage lang inne hatte und nach dem 14. Spieltag auch noch mal "spaßeshalber" übernahm. Dann gelang nach dem 20. Spieltag und dem 3:2 gegen Werder sogar wieder der Sprung aus den Abstiegsrängen. Mit dem
2:1 gegen die Dresdner Dynamos am vergangenen Freitag dann zog man auch am punktgleichen CFC vorbei.
Dem weiteren Saisonverlauf sieht man deshalb bei den blau-weiß-roten Norddeutschen auch eher zuversichtlich gegenüber. Zum einen der deutliche Aufwärtstrend der letzten Wochen und dazu die Erfahrung von Moors als Trainer auch im Abstiegskampf, dazu gab es noch 3 Ergänzungen zum Kader in der Winterpause: Aus Essen von RWE kam Sebastian Wojcik (24, Angriff - letzte Saison 2 Tore und 28 Spiele für die Essener), vom ebenfalls abstiegsbedrohten SC Preußen Münster Julian Lüttmann (20) sowie aus Lübeck vom VfB Timo Schultz (25, Mittelfeld).
Die Vorbereitung auf die entscheidenden 14 Spiele der Frühjahrsrunde begann Anfang Januar mit der Teilnahme am "Hasseröder-Cup" in der Kieler Ostseehalle, wo man erst im Finale an Bundesligist Arminia Bielefeld im 9-m-Schießen scheiterte. Ebenso wurde man Vize der "Schleswig-Holsteinischen Hallenmeisterschaft". Was folgte waren entsprechende Testspiele "draußen". Gegen den Oberligisten (Bremen/Niedersachsen) VfB Oldenburg siegte man auf Schneeboden mit 3:1 (12.01.). Anschließend scheuchte Moors seine Truppe im Emsland bei einem der berüchtigten Lauftrainingslager zum Konditionsbolzen. Ein weiterer Testspielgegner war der SV Wilhelmshaven am 28.01., auch dieser wurde wenn auch knapp geschlagen (4:3). Anfang Februar setzte man sich dann in den Flieger und begab sich in den türkischen Mittelmeerort Belek bei Antalya zu einem 1-wöchigen Trainingslager. Gegen den österreichischen Viertligisten SKU Amstetten testete Moors dann eifrig und setzte insgesamt 20 Spieler ein, das 2:2 entsprach trotz der Wechselspiele und des Termins (1 Tag nach Ankunft) eher weniger den Vorstellungen des Trainerteams Moors und Jurgeleit. 1 Tag später wurde dann wieder probiert, diesmal gegen den südkoreanischen Erstligisten und Meister von 1989 Bucheon SK Seoul - das 1:1 war schon da mehr zufrieden stellender. Wieder daheim im hohen Norden absolvierte man noch 2 weitere Spiele, diesmal gegen den Oldenburger SV (Verbandsliga) beim 1:0 und den Hamburg-Schleswig-Holsteinischen Oberligisten TSV Altenholz (3:0). Letzter ernsthafter Test vor dem Start beim SV Babelsberg 03 dann die Begegnung gegen die Amateure des FC St. Pauli als Ligagenosse des TSV Altenholz, welches mit 1:0 gewonnen wurde.
Nebenbei wurde Moors Co-Trainer Daniel Jurgeleit Mitte Februar zum sportlichen Direktor befördert. Ein deutliches Zeichen für den Willen, das Umfeld beim KSV auch in diesem Bereich professioneller zu gestalten, nachdem Gerd-Volker Schock bis zu seinem Ausscheiden im September 2002 teilweise überlastet schien und die Alleinverantwortlichkeit in verschiedenen Dingen zuweilen nicht unbedingt immer fruchtbar war.
Wesentliche Erkenntnisse der Vorbereitung ergaben sich natürlich auch im personellen Bereich. Sören Seidel als "Flop der Hinrunde" (u. a. auch durch Verletzungen) konnte sich wieder an die Stammelf heran arbeiten und war mehrmals als Torschütze in den Testspielen erfolgreich. Die Neuzugänge mit Lüttmann, Wojcik und Schultz konnten gut integriert werden und fielen in den Testspielen positiv auf. Speziell von Wojcik erhofft man sich eine Belebung der Offensive nach dem definitiven Rückzug von Jurgeleit, er soll eine Art "kongenialer Partner" zu Holstein-Torjäger Guscinas darstellen. Mit Andrè Bock (22), Sebastian Grzegorczyn (21), Necati Uluisik (19), Matthias Malkowski (18) und Timo Bruns (21) wurden zudem mehrere junge Spieler aus dem Nachwuchs des KSV in dieses Trainingslager und die gesamte Vorbereitung einbezogen, welche bislang ihre Erfahrungen in der Oberliga bei der Holstein-Reserve sammeln konnten. Speziell Grzegorczyn konnte u. a. mit 2 Toren gegen den VfB Oldenburg auf sich aufmerksam machen. Klare Antwort des Vereins auf die neuen Regelungen des DFB in Bezug auf die geforderten Einsätze von deutschen Nachwuchsspielern.
Alles in allem fiel die Bewertung der Vorbereitung positiv aus, was blieb war die Suche nach einem Spielmacher im offensiven Mittelfeld. Wunschkandidat hier war eigentlich Martin Prondziono vom VfB Lübeck, der es aber letztendlich vorzog, zum SC Preußen Münster zurückzukehren. Personell steht der KSV vor recht spannenden Wochen, denn zum Saisonende laufen 12 Verträge aus, dabei u. a. die von Spielern wie Rose, Schiersand und Trejgis. Die Frühjahrsrunde wird also für einige Spieler in wirtschaftlich schwierigen Zeiten potentieller Arbeitgeber eine enorme Bedeutung gewinnen. Dazu stellt sich die Frage, ob Torjäger Dimitrijus Guscinas (27) mit erschreckenden 16 Toren in 21 Spielen über diese Saison hinaus wird zu halten sein, da es offensichtlich entsprechende Offerten aus der 2. und auch 1. Bundesliga gibt.
Es ist also einiges in Bewegung bei unserem nächsten Gegner, der zwar primär den Klassenerhalt anstrebt, aber die 2. Bundesliga weiter als realistisches Ziel ansieht. So wurde durch die "Holstein Kiel GmbH" als Marketingorgan des Vereins und die Stadt der Ausbau des bei weitem nicht zweitligatauglichen Holstein-Stadions vereinbart. Neben den anstehenden Sanierungen wird dabei die Erweiterung der Kapazität von offiziell 10.000 auf 15.000 angestrebt. Laut Vereinsführung soll die Anlage des KSV damit zweitligareif gemacht werden, dazu wurden erhebliche Verbesserungen des Trainingsgeländes in Projensdorf beschlossen.
Der Klassenerhalt selbst ist aus meiner Sicht absolut realistisch. Im Angriff stehen Moors neben Goalgetter Guscinas nun mit Wojcik und Lüttmann weitere Alternativen zur Verfügung. Hinzu kommt mit Sören Seidel ein Kicker, welcher bislang die Erwartungen nicht erfüllen konnte, in der Vorbereitung aber größtenteils positiv auffiel. Dazu natürlich Marek Trejgis (26) mit bislang 4 Toren. Das Personal im Angriff dürfte also nicht gerade schwächer geworden sein. Im Läuferbereich stehen mit Schiersand (27) und Rohwer (26) zwei Leistungsträger mit entsprechender Erfahrung zur Verfügung, hinzu kommt Timo Schultz der als Neuzugang gegen Dynamo Dresden in der Stammformation stand. Erfahrenster Leistungsträger ist hier der Pole Zbigniew Ilski (33). Eine Erwähnung finden für den Abwehrbereich sicherlich Matthias Rose (32) und Abwehrchef Jens Dowe (34), wobei Dowe eigentlich eher als Spielmacher im offensiven Bereich gedacht war, dann aber von Moors zur Verstärkung der schwächelnden Defensive in die Abwehr beordert wurde, was sich bislang als Glücksgriff erwies. Mit dem 37-jährigen Andre Trulsen stand in der Herbstrunde ein weiterer "alter Hase" im Blickpunkt der KSV-Abwehr. Im Kasten stand in den ersten 17 Spielen Manuel Greil (28), danach der erst 22-jährige Hendrik Preuß, da Greil wegen einer Verletzung ausfiel. Mittlerweile ist Preuß erklärter Stammkeeper und verlängerte in der Winterpause seinen Vertrag um weitere 2 Jahre bis 2005. Er gilt neben den schon erwähnten anderen jungen Spielern als die Zukunft der Regionalliga-Mannschaft, auch angesichts des Alters von Spielern wie Rose, Dowe oder Trulsen.
Das Hinspiel im Holstein-Stadion als "Nachtisch" zum sensationellen Weiterkommen in der 1. Runde des DFB-Pokals gegen Berlins Hertha BSC sahen übrigens an einem beschaulichen Dienstag Abend offiziell 1.713 zahlende Besucher. Insgesamt begeisterten sich im Schnitt 1.958 Freunde des runden Leders für die Heimspiele der "Störche". Gleich 3.000 wollten das letzte Spiel gegen Dynamo Dresden sehen bei rund 500 Dynamo-Freunden. Für den SC Verl, die Werder-Amateure und den Dresdner SC konnten sich dagegen nur jeweils 1.500 begeistern. Diese 1.500 stellen offensichtlich auch abzüglich von vielleicht 20, 30 den "harten Kern" der KSV-Fanatiker dar. "Richtig Kasse" machte man bei den beiden DFB-Pokalspielen gegen die Berliner Hertha mit 10.000 Zuschauern und VfL Bochum als Endstation in Runde 2 mit 8.000. Gibt also auch in Kiel viele Fußballinteressierte, welche nur zu solchen Ereignissen den "Hintern mal hochbekommen".
So dürfte man am Samstag ich denke mal nicht mehr als 70 bis 80 "Storchenfreunde" aus dem hohen Norden an der Gellertstraße begrüßen. Denen sei ein beschaulicher Aufenthalt in der Stadt der Auswärtssiege gewünscht und uns wieder mehr Hoffnung im Existenzkampf an 2 Fronten.