Wie aus einem Physiker ein Hellseher für die Bundesligatabelle wird

09.01.2014, 17:30 Uhr | 860 Aufrufe
Wenn Prof. Dr. Günter Radons von der Professur „Komplexe Systeme und Nichtlineare Dynamik“ zu einem physikalischen Kolloquium ins Neue Hörsaalgebäude der TU Chemnitz lädt und als Gast den Lehrstuhlinhaber für die „Theorie komplexer System“ an der WWU Münster hat, dann klingt das für den Normalbürger nach ziemlich trocken Inhalten und hoher Wissenschaft. Was aber macht bei dieser Veranstaltung die CFC-Fanpage und warum füllen Vertreter des Sportteils lokaler Presse und etliche bekannte Nasen aus dem CFC-Umfeld mit vielen weiteren Besuchern den Hörsaal so gut, dass auch Professor Radons staunt? Der Gast ist eben Prof. Dr. Andreas Heuer und referiert über das Thema „Fußball und Statistik – von Mythen, Vorhersagen und Psychologie.

In knapp 90 Minuten geht er der Frage nach: Kann man das Ergebnis von Fußballspielen vorhersagen und wenn ja, wie? Um es vorwegzunehmen: Man kann natürlich nicht. Heuer und sein Team haben analysiert, dass bei einem normalen Bundesligaspiel nur ein kleiner Teil (14%) vorhersagbar ist, überwiegend (86%) aber der Zufall regiert. Und doch feilt das Forscherteam an Methoden um Spielergebnisse und damit die Endtabelle einer Saison vorhersagen zu können. Dazu wurden teilweise alle Ergebnisse der über 50-jährigen Bundesligageschichte ausgewertet und ein Regelwerk entwickelt, dass man auf eine aktuelle Saison anwenden kann. Als wichtigen Indikator für die Leistungsstärke einer Mannschaft haben die Wissenschaftler dabei die Tordifferenz ermittelt. Doch die ist nicht das aussagekräftigste Merkmal. Wer jetzt geschossene oder kassierte Tore sowie erzielte Punkte erwartet, läuft etwas auf dem Holzweg. Denn die Effizienz der Verwertung von Torchancen und der Marktwert auf transfermarkt.de liegen in der Aussagekraft deutlich vor den Werten aus der Tabelle, auch zur einstigen Überraschung von Heuer.

Vortrag an der Uni ChemnitzDie nun ermittelte Leistungsstärke ist ein wichtiger Wert für die Vorhersage von Ergebnissen. Wie bereits erwähnt, spielt der Zufall eine große Rolle beim Aussang eines Fußballspiels. Und so erwürfelt Heuer dann symbolisch auch die Ergebnisse. Man lässt also virtuell beide Mannschaften die Würfel werfen, bei sechs Augen wird ein virtuelles Tor erzielt. Um nun aber auch die Leistungsstärke der Mannschaften abzubilden, darf eine stärke Mannschaft im Verhältnis ihres Leistungsfaktors gequirlt mit einem Faktor für Heimvorteil öfter würfeln, als die schwächere. Lässt man nun Computer tausende Male Spiele und Tabellen berechnen, erhält man eine Schlusstabelle mit einer recht hohen Wahrscheinlichkeit, dass sie auch Realität wird. Dass der FC Bayern in der ersten Bundesliga mit fast 100%-iger Wahrscheinlichkeit am Ende die Meisterschale erhält, dafür muss man wohl nicht erst den Computer bemühen. Dass aber Frankfurt (aktuell 15.) sich sogar noch berechtigte Hoffnungen auf eine Wiederholung seines Europatraumes machen darf und Braunschweig, Nürnberg und Freiburg sehr, sehr große Wunder im Abstiegskampf brauchen, muss man so nicht aus dem Bauch heraus prognostizieren.
Apropos Abstiegskampf: Auch der Frage, ob ein Trainerwechsel wirklich etwas bringe, ging das Team von Andreas Heuer nach. Ergebnis: Ja, Mannschaften erzielen nach Trainerwechsel sogar recht schnell wieder positive Ergebnisse – aber, das hätten sie auch ohne den Trainerwechsel. Das fanden die Wissenschaftler heraus, in dem sie die Spiele von Mannschaften analysierten, die nach einer Serie von negativen Resultaten ihre Trainer wechselten und von Mannschaften, die gleichartig negative Serien hinlegten, aber am Übungsleiter festhielten.

Heuer und seine Begleiter bewiesen mit ihren statistischen Auswertungen ferner Effekte, die vielleicht schon mancher geahnt hat:
  • Mit zunehmender Spielzeit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Tore fallen recht gleichförmig an. Dabei werden jedoch in den ersten Minuten herausragend wenig Tore erzielt (Anmerk. d. Red.: außer der CFC spielt mit ;-) ) und in den letzten Minuten herausragend viele.

  • Steht es jedoch etwa 70 Minuten vor Schluss unentschieden, sinkt die Chance auf ein Tor signifikant ab.

  • Führt die Heimmannschaft, dann hat das keinen Einfluss auf das spätere Ergebnis – alle Varianten des Spielausgangs sind noch nahezu gleich wahrscheinlich.

  • Führt jedoch die Gastmannschaft, hat die Heimmannschaft im Laufe des Spiels immer schlechtere Karten, die Partie noch zu drehen. Sie kassiert dann in den letzten Minuten des Spiels besonders häufig weitere Gegentreffer.

  • Die Leistungsstärke einer Mannschaft ändert sich signifikant nur im Sommer, in der Winterpause dagegen kaum! Eine interessante These gerade in diesen Tagen reger Transfertätigkeit.

  • Gute Bundesliga-Mannschaften bleiben heute länger gut, als früher. Heuer führt das unter anderem auf die prallen Europapokalprämien zurück.
Doch Statistik hin und Zahlen her, beachten muss man immer, dass alles Genannte immer nur errechnete Durchschnittszahlen und Wahrscheinlichkeiten sind. Abweichungen im Einzelfall wird es immer geben, wobei der Statistiker sogar für Ergebnisse wie Bayerns 7:0 in Bremen eine Erklärung hat und die Poisson-Verteilung ins Feld führt. Aber der Statistiker hat eben auch errechnet, dass beim Fußball noch deutlich über 80 % Zufall im Spiel sind – übrigens bei Handball und Basketball aufgrund mehr Tore/Punkte deutlich weniger. Und genau dieser Zufall und die ganzen Dinge, die ein Spiel positiv oder negativ beeinflussen können, sind es ja, warum wir diesen Sport lieben. Denn wenn es der Zufall will, können selbst die Bayern noch vom Meisterthron gestoßen werden, oder der CFC in den Aufstiegskampf eingreifen...

Wer noch mehr zu diesem Thema wissen möchte, dem sei das Buch „Der perfekte Tipp – Statistik des Fußballspiels“ von Prof. Dr. Andreas Heuer ans Herz gelegt. Ein paar mathematische Kenntnisse setzt es aber wohl voraus.

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