MV 2016: Große Entschuldigungen & Hoffen auf den Stadtrat
13.12.2016, 10:12 Uhr | 2856 Aufrufe
Nehmen wir einmal an, beim kleinen Kaninchenzüchterverein "Mecklenburger Schecken" in Großpusemuckel wäre im letzten Jahr die Hälfte aller Hasen verschwunden - ganz gewiß hätten die 25 Mitglieder auf der Hauptversammlung der Hasenzüchter unbedingte Aufklärung bis hin zum letzten Namen vom Vorstand gefordert, wer den Stall offen gelassen hat und wohin die Hasen verschwunden sind. Eben bis die Angelegenheit geklärt ist und verhindert wird, dass so etwas noch einmal passiert. Auch beim CFC ist etwas verschwunden, nämlich Geld.
Wohin diese Mäuse aber verschwunden sind, und wer die Tür für die davongeeilten Mäuse zu lange offen gelassen hat, wurde bei der gestrigen
Mitgliederversammlung nicht geklärt. Ja, natürlich, sowohl der Vorstand als auch der Aufsichtsrat entschuldigte sich bei Mitgliedern und Gästen des Stadtrates, daß sie ihren Aufgaben nicht nachgekommen waren und der Chemnitzer FC binnen Jahresfrist in eine finanzielle Schieflage "mit existentieller Bedrohung" gekommen ist, aber klare Verantwortlichkeiten, oder gar namentliche Nennungen, wer bei den Himmelblauen ein riesiges buchhalterisches Eigentor geschossen hat, blieben aus.
Einzig der Name Dr. Kall fiel mehrfach, weil er seit seinem Amtsantritt im Sommer 2016 durch Einblick in die Bücher das große Loch im Budget überhaupt ans Tageslicht gebracht hatte. Mehrfach wurden die anwesenden Stadträte gebeten, am 16.12. auf der Sondersitzung des Stadtrates die dem CFC aus dem abgelösten Erbbauvertrag zustehenden 1,26 Mio Euro auszuzahlen und dem Club "eine zweite Chance" zu geben. Die Bedingung der Stadt Chemnitz, daß sich der Energieversorger
Eins um die himmelblaue Buchhaltung kümmert und die Gebäudewirtschaft
GGG bei der Betreibung der Stadion-Immobilie dem Verein auf die Finger schaut, wurde von der Vereinsführung begrüßt und willkommen geheißen.
Die Mitgliederversammlung 2016 in die große Messehalle an der Neefestraße zu verlegen, erwies sich als richtig, denn die anwesenden 751 Mitglieder und 68 Gäste hätten nie in die VIP-Ebene des Stadions gepaßt, wo die MV erst hatte stattfinden sollen. Die etwas düstere, weite Atmosphäre in der Messehalle paßte zur Situation. Die Zukunft im Dunklen, der Vorstand ganz allein vor den vielen Mitgliedern, die auf den ausgezogenen Bänken wie in einem Stadion saßen.
Eigentlich bestehen Vorstand und Aufsichtsrat aus 12 Personen, im Präsidium anwesend waren aber nur vier der Herren: Dr. Hänel, Hr. Steger, Hr. Schoch (alle Vorstand) und Hr. Trageser (Aufsichtsrat). Später wurde die Frage gestellt, wo denn Hr. Reißmann (Vorsitzender des AR) wäre, die Frage nach den anderen fehlenden 7 Personen tauchte leider nicht auf. Gleich zu Beginn wurde vorgeschlagen, die
Tagesordnung zu ändern - und zwar in einem ganz wichtigen Punkt. Vorstand und Aufsichtsrat schlugen den Mitgliedern vor, den Punkt 6 "Beschluß über die Entlastung von Aufsichtsrat und Vorstand für das Geschäftsjahr 2015/2016" zu streichen und auf die MV des Jahres 2017 zu verlegen. Die Mitglieder stimmten diesem Ansinnen mit erstaunlich großer Mehrheit zu.
Es folgte der Rechenschaftsbericht des Vorstandes, vorgetragen von Dr. Hänel zum Geschäftsjahr 2015-16 (bis 30.06.16) und zur Situation seit dem Sommer 2016. Im abgelaufenen Geschäftsjahr gab es 6,917 Mio Euro an Einnahmen, ausgegeben wurden im gleichen Zeitraum aber 8,134 Mio Euro. Macht unter dem Strich einen Fehlbetrag von 1,217 Mio Euro. Das negative Vereinskapital läge damit jetzt bei 1,464 Mio Euro und der CFC bräuchte "externe Unterstützung zur Rettung des Vereins", so Hänel.
Grund der Misere wäre nicht
ein Fehler, sondern das Zusammenwirken verschiedener Ursachen, die über die MV verstreut (teils mehrfach) wie folgt benannt wurden: zu optimistische Kalkulation bei Freundschaftsspielen, ungenügendes Controlling, krankheitsbedingte Ausfälle, eine personell unterbesetzte Geschäftsstelle, ungünstig ausgehandelte Verträge, personelle Notwendigkeiten im Profi-Bereich (z.B. Heine-Entlassung), deutlich höhere Kosten bei Ticketing und Security, immer noch zu wenige Mitglieder und Zuschauer, hohe Ausgaben für Mietkäufe (u.a. Mannschaftsbus, Video-Leinwand, neue Ausstattung Mannschaftskabine und VIP-Bereiche), die Betreibung der VIP-Zelte in der Übergangsphase, und die nicht vorhandene Professionalisierung im kaufmännischen Bereich.
Erst mit der Einstellung von Dr. Kall (am 01.07.16) und dessen Blick in die Bücher wäre das finanzielle Dilemma des CFC so richtig ans Licht gekommen. Kall war auch Wunschkandidat des
Aufsichtsrates, für den Erwin Trageser den Bericht zum Geschäftsjahr verlas. Noch im März 2016 war der AR im guten Glauben, daß der Verein finanziell solide positioniert ist, auch hier wäre erst ab dem Sommer das riesige Loch so richtig bekannt geworden. Das ganze Ausmaß der Misere wäre dem AR erst auf Sitzungen am 29.8. bzw. 27.9. klar geworden. Trageser entschuldigte sich bei den Mitgliedern für die Fehleinschätzung des AR und bat die Stadträte um Unterstützung und eine zweite Chance für den Verein. Sowohl Dr. Hänel als auch Hr. Trageser dankten den Fans für die große finanzielle und emotionale Unterstützung des CFC in diesen schweren Monaten. Mittlerweile gäbe es im Verein ein Freigabeverfahren für Beträge ab 500 Euro, ein Gutachten von Dortmunder Wirtschaftsprüfern ist in der Fertigstellung und in Bälde soll ein Wirtschaftskonzept auf die Beine gestellt werden, damit der CFC ab 2017-18 wieder schwarze Zahlen schreiben kann.
Der nachfolgende Tagesordnungspunkt "Diskussion zu den Berichten" war mit Spannung erwartet worden, einerseits ob der
Redebeiträge der Mitglieder, andererseits ob der Lautstärke, die dabei benutzt wird. Es blieb alles sachlich und friedlich, wofür Dr. Hänel später den Mitgliedern dankte. Auf anderen Mitgliederversammlungen wäre dies nicht immer der Fall, meinte der Doktor in seinem Schlußwort ironisch in Richtung Gebirge. Trotzdem legte selbst die sachliche Diskussion die Fehler im Verein schonungslos offen, vielleicht auch ungewollt. Zwei Beispiele seien genannt: Der neue Fanshop wird nicht mehr von der Marketing GmbH betrieben, sondern von Oliver Müller (Sohn von
Joachim Müller), und der CFC bekommt davon einen prozentualen Anteil ab. Steger antwortete auf die Nachfrage eines Fans, daß mit O. Müller jetzt Professionalität im Einkauf, Verkauf und Auswahl der Artikel eingezogen wäre und der CFC nun eben davon profitiert. Weshalb der Verein aber nicht einmal in der Lage ist, einen eigenen Fanshop gewinnbringend mit eigenem Personal zu betreiben, wurde nicht geklärt.
Völlig unter ging auch der etwas fahrige Redebeitrag des altgedienten Kassenprüfers Gottfried Schmidt, der wissen wollte, warum so ein gewaltiges Finanzloch entstehen konnte - zu seinen Zeiten hätte es monatliche Berichte gegeben, wo ein solches Defizit ganz gewiß aufgedeckt worden wäre. Versammlungsleiter Steger antwortete: "Das hat Dr. Hänel in seinem Rechenschaftsbericht bereits ausgeführt", und die elementare Frage des alten Kassenwarts löste sich in Luft auf.
Die vier anwesenden Herren von Vorstand und Aufsichtsrat kündigten an, die Mitglieder in Kürze fristgerecht zur
Außerordentlichen Mitgliederversammlung im Januar (16.01.17) einladen zu wollen, da durch ihren Rücktritt von allen Ämtern sowohl der AR als auch der Vorstand neu besetzt werden müssen. Zum Schluß der MV gab es noch die üblichen Auszeichnungen und Ehrungen, dabei erhielt u.a. Anja Mittag in personeller Abwesenheit die CFC-Ehrennadel in Gold. Stichwort Gold - alle Blicke der Mitglieder und der himmelblauen Fans richten sich nun auf die Abstimmung im Stadtrat am Freitag, den 16. Dezember, und ob dort das goldene Füllhorn der Stadt für ein Überleben des Vereins sorgen kann. Auf die Frage nach einem "Plan B", gestellt von einem Fan während der Diskussion zu den Berichten, meinte Dr. Hänel nämlich: "Hier ist nicht der richtige Ort, um über so etwas zu sprechen."
Ehrennadel in Bronze: Michael Uber, Silke Heimberg
Ehrennadel in Silber: Thomas Kunze, Michael Falb, Jörg Fetzner
Ehrennadel in Gold: Anja MittagSurftipp:»
Live-Ticker der Freien Presse zur CFC-Mitgliederversammlung 2016