Wenn man einst als Fußball-Opa am Samstag Nachmittag auf der Tribüne seinen Hintern auf einem Sitzkissen plazieren wird und sich über die Akteure auf dem grünen Rasen ärgert, dann kann es passieren dass man seinem ebenfalls schon stark ergrauten Nachbarn zuraunt "Weisst Du noch, damals...". Dann werden die Geschichten aus der (nicht immer) guten alten Zeit erzählt und man erinnert sich an die großen Spiele des Clubs. Vielleicht spricht man dann auch von dem Spiel am vergangenen Samstag, dem 3:2-Sieg des CFC beim VfL Osnabrück. Einem unverhofften, großartig erkämpften und ohne Zweifel denkwürdigen Sieg. Dem ersten Dreier der Saison 2004/05, mit mehr Toren in dem einen Spiel als in den neun Spielen zuvor, dem erstmaligen Aufholen eines Rückstandes, dem Spiel wo die Hoffnung wiederkam.
Eine erste Überraschung gab es bereits zu Beginn des Spiels in der dank Kombigeschäft mit dem Bayern-Pokalspiel mit 13.500 Zuschauern gut gefüllten Osnatel-Arena. Da lief nämlich plötzlich ein Spieler mit der legendären Nummer 11 über den Platz, der so gar nicht nach dem etatmäßig diese Nummer tragenden Nico Stein aussah. "Der Club wird doch nicht wohl" - rieb man sich verwundert die Augen. Doch es stimmte, Dirk Barsikow hatte Oldie Ulf Mehlhorn, welcher eigentlich nur noch in der 2. Mannschaft abtrainieren wollte, reaktiviert und auf der Liberoposition aufgeboten. Dafür rückte der etatmäßige Libero Steffen Karl ins Mittelfeld. Ein durchaus gelungener Schachzug, wie der Spielverlauf zeigen sollte. Doch erstmal gab's den "typischen Club". Gerade mal vier Minuten waren gespielt als die Osnasen das erste Mal gefährlich vor das himmelblaue Tor kamen. Mit einem schnellen Doppelpaß war die Chemnitzer Hintermannschaft matt gesetzt und Nouri versenkte mit einem satten Schuß die Kugel im Tor von Steffen Süßner. So schien alles nach Plan zu verlaufen für den Favoriten und so mancher in lila-weiß wird schon von einem geruhsamen Nachmittag mit vielen Toren für die Heimmannschaft geträumt haben.
Dazu kam es aber nicht, weil der CFC sich endlich mal nicht vor einer großen Kulisse in die Hosen machte, den Kampf annahm und das Spiel nach vorne suchte. Das erste Achtungszeichen setzte Karl in der 10. Minute mit einem Knaller aus 18 Metern, wo Berbig sein ganzes Können aufbieten mußte. Nur fünf Minuten später war der Club wieder im Angriff, der bärenstarke Fillinger ging über links bis zur Grundlinie, legte zurück auf Schindler, der paßte zu Karl und der legte seinen ganzen Frust in diesen Schuß. Wie ein Strich schlug das Leder im linken unteren Eck ein. 1:1! Riesenjubel bei den 100 mitgereisten Clubfans über das erste herausgespielte Tor der Saison. In Folge entwickelte sich ein spannendes und temporeiches Fußballspiel mit Chancen auf beiden Seiten. Die Osnasen waren immer dann gefährlich, wenn sie im Sechzehner mit Doppelpässen die Chemnitzer Hintermannschaft düpierten. Doch Menga (9., drüber, 33. vorbei) und Reichenberger (18., Rettung durch Ahlf) bekamen den Ball ebenso nicht im CFC-Kasten unter wie Joppe mit einem Hammerschuß auf 22 Metern (39.). Auf der anderen Seite erspielten sich auch die Himmelblauen ihre Chancen zur Führung. Die besten Gelegenheiten hatten Karl per Kopf nach Schindler-Freistoß (31.), Fillinger (Flachschuß gehalten, 34.) und Schindler kurz vor der Halbzeit, als die Nummer 5 einfach mal über rechts nach vorn ging und aus halbrechter Position abzog. Der Pfosten rettete in dieser Situation für den VfL (42.). Kurz zuvor hatte es noch einen Aufreger gegeben: eine Flanke von Schäfer "rettete" Oldie Mehlhorn vor dem einschußbereiten Menga ins eigene Tor. Zum Glück hatte der Linienrichter hier eine Abseitsposition eines VfLers gesehen, so dass der Schiri die Aktion abpfiff. So ging es mit dem 1:1 in die Kabine, wo auf dem Weg dahin die Spieler des CFC mit viel Beifall und ermutigenden Rufen bedacht wurden.
Schon in der Halbzeitpause konnte man das positive Zwischenfazit ziehen, dass sich der CFC keineswegs wie ein Tabellenletzter präsentierte. Der spielerische Aufwärtstrend, welcher sich schon im Heimspiel gegen Köln andeutete, setzte sich in Osnabrück fort. Der größte Unterschied zu den Spielen zuvor war die Leistung in der Offensive. Erstmalig mußte man keine Angst haben, dass mit dem 0:1 Rückstand das Spiel im Grunde schon entschieden ist, da die Himmelblauen trotzdem weiter mutig nach vorn spielten. Sicherlich ein Verdienst von Interimscoach Dirk Barsikow, dessen taktische Umstellungen wesentlich zur Verbesserung des Offensivspiels beitrugen. Bleibt zu hoffen, dass dieser Aufwärtstrend nicht wieder jäh gestoppt wird, indem der CFC eine "Trainerikone" Marke Dörner oder Gütschow verpflichtet. Angesichts der positiven Entwicklung unter Barsikow ist auch keine Eile bei der Trainersuche geboten und es wäre sicherlich nicht die schlechteste (auch aus finanzieller Sicht) Variante mit Barsi die Spiele bis zur Winterpause zu bestreiten. Dann könnte man sich immer noch, mit Berücksichtigung der dann vorhandenen Tabellensituation, nach einem neuen Coach umsehen.
Die zweite Halbzeit begann mit einem wunderschönen Tor für den VfL. Der einzige Haken an der Sache war, dass der Schiri die Aktion schon lange vorher abgepfiffen hatte, als Reichenberger alleine vor Süssner auftauchte und den Ball ins lange Eck schoß. Klare Sache, Abseits (54.). In Folge agierten die Himmelblauen abwartend, während der VfL es mit der Brechstange versuchte. So versuchte es Abwehrspieler de Jong mal aus 30 Metern mit einem Gewaltschuß, doch das Leder ging knapp am Tor vorbei (67.). Zwei Minuten später stoppte Kanitz im Fünfmeter-Raum einen gefährlichen Schuß von Schandau. Doch je länger die Zeit verstrich desto verzweifelter wurden auch die Bemühungen der Osnasen. So viel Widerstand hätten sie vom abgeschlagenen Tabellenschlußlicht wohl nicht erwartet. So kam auch das eine oder andere Frustfoul zustande, was der gute Schiri Metzen u.a. mit Gelb gegen Schütte ahndete. Der CFC witterte jetzt Morgenluft. Angriff über links, der quirlige Kanitz setzte sich gegen seine Gegenspieler durch und flankte von der Grundlinie. Am langen Pfosten stand Schindler und hielt seinen "Nischel" in die Flugbahn. 2:1 für den Club und im Gästeblock tanzte man Pogo (78.)! Die Lila-Weissen wollten sofort den Ausgleich aber das Glück war heute endlich mal auf der Seite der leidenschaftlich kämpfenden Himmelblauen. Mehlo klärte gegen Menga (79.) und der bärenstarker Süßner parierte den Freistoß von de Jong (82.). Dann war der Club wieder am Zug. Freistoß Schindler, einem Abwehrspieler der Osnasen versprang der Ball, Göhlert schaltete am schnellsten und drückte den Ball zum 3:1 über die Linie. Einfach nur sensationell. Dem VfL gelang noch der Anschluß durch ein Eigentor vom eingewechselten René Stark (85.), aber mehr war heute für die Lila-Weißen nicht drin. Grenzenloser himmelblauer Jubel ertönte nach dem Schlußpfiff des Schiris während die Lila-Weißen doch etwas bedröppelt das Stadion verließen. In einem hochklassigen Spiel hieß der verdiente Sieger Chemnitzer FC. Endlich!
Fazit: "Wir sind doch nicht Weltmeister geworden" dämpfte Interimscoach Dirk Barsikow die enthusiastischen Gefühlsausbrüche der anwesenden Clubfans. Womit er natürlich recht hat. Denn so wunderschön dieser Sieg in Osnabrück auch war, so änderte er erstmal nur wenig daran, dass der CFC immer noch ziemlich abgeschlagen im Tabellenkeller steht, auch wenn man die rote Laterne nach Wolfsburg abgeben konnte.
Aber es ist ein Hoffnungsschimmer, eine Bestätigung dafür, dass der CFC doch noch Tore schießen und gewinnen kann. Dass auch ein Rückstand kein Beinbruch ist. Dass man spielerisch mithalten und durch unbändigen Willen und Einsatz auch einen VfL Osnabrück in dessen eigenen Stadion in die Knie zwingen kann. Aber dieser überraschende Sieg hat nur dann einen Wert, wenn der Club jetzt in jedem der kommenden Spiele sein Herz in die eigene Hand nimmt und an die in Osna gezeigte Leistung anknüpft. Wer an der Bremer Brücke gewinnt braucht gegen den HSV keine Angst zu haben! Also - auf geht's Männer! Die Saison 2004/05 hat jetzt begonnen!!