Endlich mal mit Anstand verloren
von Thomas Haubold (Sky Strikers)
Sport frei zur vorletzten Auswärtrunde in Düsseldorf. Ein bisschen Wehmut kommt schon auf bei dem Gedanken, für eine wahrscheinlich längere Zeit nicht mehr diese Strecken nach NRW fahren zu dürfen. Um so mehr, als die Düsseldorfer das Paul-Janes-Stadion, dass erneut wegen einer zweitrangigen Popcombo in der LTU-Arena zum Spielort gekürt wurde, liebevoll für unsere Ankunft mit Fahnen geschmückt hatten. Selbst die örtlichen Hooligans hatten es sich nicht nehmen lassen, ein entsprechend beschriftetes Textil aufzuhängen, was von den Chemnitzern auch verbal honoriert wurde. Schade nur, dass die Gästefans ihr Banner am Eingang gegen eine Garderobenmarke tauschen mussten und so zur feierlichen Gestaltung zunächst nichts beitragen durften. Der Anzahl Ordner und leicht nervöser Staatsdiener aus dem benachbarten Duisburg zufolge steckte der vorjährige Ausflug bei den Verantwortlichen noch in den Knochen.
Der Freitag als Spieltermin schlug sich auch in den Zuschauerzahlen nieder. Nur noch handgezählte 103 Gäste verirrten sich ins Rund zu den insgesamt gut 5000 Zahlenden, darunter auch gute Bekannte aus Duisburg, Gladbach und Essen. Der Kick selbst begann für CFC-Fans nicht gänzlich ungewohnt, nach nur 3 Minuten lag man in Rückstand. Dafür war Dennis Wolf verantwortlich, der aus dem Mittelfeld heraus von Podzus lang geschickt wurde, schnell noch Süßner umkurvte und zur Führung einschob. In der Folge hatten Chemnitzer Mittelfeld und Abwehr das Format eines unengagierten Hühnerhaufens. Allein der Ex-Chemnitzer Podzus hätte das halbe Dutzend vollmachen können, scheiterte aber aus aussichtreichsten Positionen. Insgesamt aber bekamen diejenigen Oberwasser, die Gegentore im oberen einstelligen Bereich prognostiziert hatten. Umso überraschter zeigten sich die Besucher nach einer halben Stunde Spielzeit, als Baumann einen Eckball per Kopf zum Ausgleich verwandeln konnte. Zu dem Zeitpunkt war dieser Spielstand mehr als schmeichelhaft. Aber die Fortuna hatte selbiges keine vier Minuten später. Ein von Feinbier getretener Freistoß wird leicht abgefälscht und lässt Süßner keine Chance. Es spricht für die Gäste, dass sie sich nun doch straffen. Der gut agierende Adamu schaltet sich kurz vor der Pause in den Angriff ein und wird im Strafraum von den Beinen geholt. Den berechtigten Strafstoß hämmert Görke humorlos in die Mitte. Mit dem überraschenden Zwischenstand von 2:2 geht es in die Halbzeitpause.
In dieser gab es ausreichend Zeit zum Schwatzen, dauerte sie doch über eine halbe Stunde. Ein verletzter Linienrichter war der Grund dieses Kuriosums. Als Ersatz wurde rasch ein Gladbacher Polizist aus dem Dienst geholt. Offensichtlich hatte die zusätzliche Zeit aber auch Trainer Müller gelangt, seine Mannen wieder einmal zu erreichen. Kämpferisch auf der Höhe und recht kombinationssicher präsentierten sich die Himmelblauen nach dem Seitenwechsel. Natürlich wurde dies auch durch eine kaum stattfindende Düssldorfer Hintermannschaft begünstigt, aber es waren endlich einmal schön anzusehende Angriffe vorgetragen. Eine Stunde Spielzeit war vergangen, als sich Lenker ein Herz fasste und aus 22 Metern trocken abzog und einen Treffer Marke Traumtor markierte. Ungläubiges Staunen auf der Südtribüne: unsere Himmelblauen in Führung! Auswärts! 3 Tore! Eigentlich hätte nun im Gästeblock eine Party zünden müssen. Aber alle konnten, wie auch nach dem Spiel noch mehrfach festgestellt wurde, mit dieser ungewohnten Situation gar nicht mehr recht umgehen. "Zum Glück" fiel fast im Gegenzug, und das ist das größte Manko des Auftritts, diesen Vorteil nicht länger halten zu können, der erneute Ausgleich und die Chemnitzer waren wieder in ihrer gewohnten Gedankenwelt angekommen. Wolf hatte eine Standardsituation per Kopf zu seinem zweiten Treffer abgeschlossen.
Bereits jetzt hatte sich die weite Fahrt gelohnt, denn es war ein erfrischendes, unterhaltsames Spielchen geworden. Beide Teams waren eindeutig nach vorn ausgerichtet und erspielten sich eine ganze Reihe von Chancen. Eine davon hätte der vielgescholtene Schumann, der heute einige gute Aktionen hatte, beinahe zur erneuten Chemnitzer Führung genutzt. Leider klatschte sein sehenswerter Volleyschuss an die Latte. So geht das Spiel auf die Zielgerade und es ist symptomatisch für diese Saison, dass der zum Greifen nahe Punkt noch aus den Händen glitt. Böcker kam aus dem Gewühl mit dem Kopf an den Ball und lupft die Kugel über Süßner, der nur noch die Fingerspitzen ran bekommt, ins lange Eck. In den verbleibenden zehn Minuten kann die Düsseldorfer Führung nicht noch einmal egalisiert werden.
Es ist bitter, dass nach einer guten und couragierten zweiten Hälfte, selbst wenn die Zähler keine Auswirkung auf den Tabellenstand mehr haben, dieses Spiel noch verloren geht. Dennoch können die CFC-Akteure endlich einmal wieder mit ehrlich gemeintem Applaus verabschiedet werden.
Randglosse von der Rückfahrt: Wer bis zum 20. Mai noch einmal auf der A4 unterwegs ist, sollte es sich keinesfalls entgehen lassen, bei Eisenach West das örtliche Alliierten-Cafe aufzusuchen. Eines Umbaus wegen findet die Verköstigung im Bierzeltambiente statt. Besonders sehenswert ist der Getränketresen mit dem Charme eines Verdi-Standes, zu dem ein prächtiger blumengemusterter Sonnenschirm verhilft. Ein absolutes Muss.
Fazit: Ein sehenswertes Spiel, unterhaltsam und torreich, auch dank einer deutlichen Steigerung der Himmelblauen im zweiten Durchgang. Wenn man etwas durch die Vereinsbrille schielt, weite Strecken der ersten Hälfte außer Acht lässt, könnte man sogar davon sprechen, dass ein Unentschieden gerechtfertigt gewesen wäre. Auf jeden Fall sollten die Kampfbereitschaft, Spielsicherheit, ja zum Teil fast Esprit, nach der Pause bis zum Mittwoch gerettet werden. Vielleicht lässt sich so dieses Quentschen Selbstbewusstsein erzeugen, dass notwendig wäre, um im Pokal gegen Sachsen Leipzig erfolgreich bestehen zu können.
Wertung: 3
Beste Himmelblaue: Adamu, Lenk, Tomoski
Pressestimmen
Freie PresseMunteres Toreschießen [..] Die Chemnitzer hatten bis in die Schlussphase hinein das Spiel offen gestalten können, zogen aber dann dennoch den Kürzeren.