"Aufstieg gegen Abstieg" an der Gellertstraße…
von Timo Görner
...selten waren Favoriten und Außenseiterrolle klarer definiert als in diesem Spiel. Den CFC und den BFC Türkiyemspor trennen 54 Punkte, 78 Tore und 17 Plätze.
Die aktuelle Saison unseres Gegners
Zweimal konnte sich der Club aus Kreuzberg durch einen Endspurt und ein wenig Glück durch Entscheidung am "Grünen Tisch" (2009) vor dem Abstieg retten. Man könnte glatt den jeweils Wochen zuvor schon geschlagenen Club als "unabsteigbar" bezeichnen. Nicht verwunderlich, dass Türkiyem auch in diese Saison als Abstiegskandidat ins Rennen ging.
Die Prognosen konnte der Multikulti-Klub "eindrucksvoll" bestätigen. Spätestens mit Beginn der Frühjahrsrunde läuft die "restliche Spielzeit" unter "Vorbereitung der neuen Spielzeit". Bisher wurde kein Sieg eingefahren - nur 5 Remis erreicht. Der Auftakt mit dem schweren Programm in Leipzig (1:1) und gegen Wolfsburg II (2:4 nach 2:0) verlief noch ordentlich. Danach ging es Richtung Tabellenende, mit Spieltag 6 wurde die "Rote Laterne" übernommen und nicht mehr abgegeben. Die letzten 8 Duelle gingen mit 2:18 Toren alle verloren. Die einzigen beiden positiven Zeichen konnten in Leipzig und gegen Kiel (0:0) gesetzt werden. Auch das 1:1 in Magdeburg sollte bei der Talfahrt des FCM noch als "gut" einzustufen sein. Chancenlos blieb der BFC dagegen in Halle, Meuselwitz, Havelse (0:4), Hannover (1:4), Plauen (0:3). Im letzten Spiel vor dem CFC hielt Türkiyem bis Minute 64 das 0:0 gegen den HFC um dann noch 4 Treffer zu kassieren. Mit der sportlichen Tristesse ging auch das finanzielle Fiasko einher. Anfang Oktober 2010 wollte der Verein Insolvenz anmelden, die Liga war wirtschaftlich nicht zu halten. 1 Woche später konnte man den Gang zum Amtsgericht (vorerst) vermeiden, weil Gläubiger auf ihr Geld verzichteten und ein Sparkurs eingeläutet wurde. Der Sparkurs ließ auch die letzten schmalen Hoffnungen auf den Klassenerhalt sterben und die wenigen Akteure zum Weggang bewegen, die einigermaßen Regionalliga-Format nachwiesen. Folge der Ungereimtheiten war der Abzug von 3 Punkten durch den DFB, welche die mühsam ergatterten 5 auf 2 Zähler schmelzen ließ. Auch ein Trainerwechsel – der erste von zwei - brachte keinen Effekt – das war aber auch von den Verantwortlichen nicht erwartet worden.
Zu Hause wie auswärts ist Türkiyemspor auch mit den entzogenen Zählern jeweils die schwächste Gemeinschaft, 9:53 Tore sind logischerweise ebenfalls absolut nicht klassentauglich. Eine in jeder Hinsicht eindeutige Bilanz.
Im Berliner Pokal stand der BFC am Mittwoch im Achtelfinale gegen Lichterfelder FC und fegte den Oberligist mit 6:0 aus dem Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark.
Delegierungen seit dem Hinspiel
Die Fluktuation ist enorm. In der Winterpause haben 12 Spieler den Verein verlassen – 9 kamen hinzu. Von den Abgängen wanderte 3 zum BFC Dynamo ab. Zu den Akteuren, die sich ordentlich präsentierten, zählen Abwehrspieler Christian Schalle (25/Wilhelmshaven), die Mittelfeldakteuer Gökhan Ahmetcik (27/BFC Dynamo), Cihan Dogan (26/BSV Al-Dersimspor) und Marcus Steinwarth (24/Lübeck) und die Angreifer Ali Avcioglu (24/Berlin Ankaraspor 07) sowie Stephan Boachie (23).
Die Neuzugänge wurden bereits mit Blick auf die kommende Saison verpflichtet. Es sind meist jüngere Spieler aus anderen Berliner Vereinen: Reinickendorf, Lichterfelder FC, Tennis Borussia, Ankaraspor 07 sowie aus einer aus Jena. Hinzu kommen 3 zu letzt vereinslose Kicker. Interessantester Neuzugang ist Jerome Maaß (23). Juli 2010 endete ein einjähriges Engagement beim Schweizer Zweitligisten FC Grenchen, im Januar 2011 wechselte er zu Türkiyemspor. Er stammt aus der Jugendabteilung des VfL Wolfsburg.
Der Trainer
Sasa Jovanovic übernahm das Traineramt am 04.03.2011 und ist nach Taskin Aksoy und Kenan Arayici der dritte Coach der laufenden Saison. Der Serbe soll die Mannschaft auf die kommende Oberligasaison vorbereiten.
Die Mannschaft
Angesichts der massiven Veränderungen im Laufe der Saison fällt ein strukturiertes Bild nicht leicht. Im Tor hat aktuell Younes Itri (20) die Nase vorn. Zuvor war dies Norman Köhlmann (26). In der Abwehr liegen Julian Austermann (20), Enes Cabuk (22), Ivaylo Velinov (24), Koray Yesilli (19) derzeit vorn. Im Mittelfeld bilden Demircan Dikmen (23), Süleyman Kapan (19), sowie die 3 Neuzugänge Jerome Maaß (23), Fatih Kücük (19) und Cemil Mengi (24) das Gerüst. Letzterer erzielte in 8 Spielen seit der Winterpause immerhin 2 Tore für den BFC, flog aber gegen Halle am vergangenen Spieltag vom Platz (Schiedsrichterbeleidigung) und fehlt somit auch gegen den CFC. Im Angriff zählte Avi Avcioglu (24) bereits mit 2 Treffern in der Herbstrunde als Torschützenbester, er ist mittlerweile auch nicht mehr dabei. So bleiben junge Spieler wie Lucas Bähr (19), die sich in der Regionalliga mühen und ihre Sporen im Männerbereich verdienen. Mit gerade mal 21,5 Jahren im Schnitt ist der BFC Türkiyemspor quasi eine "U23". Jünger ist keine andere Mannschaft, welche nicht als II. fungiert.
Gewinner der Saison
Gewinner dürften wohl nur die Spieler sein, die einen neuen Club in der 4. Liga fanden, sprich Steinwarth (Lübeck) und Schalle (Wilhelmshaven). Allerdings schaffte nur Schalle den Sprung in die Stammelf. Im Endeffekt kann man noch die Jungspunde dazu zählen, die aufgrund des strengen finanziellen Sparkurses nach der Fast-Insolvenz in die 1. Mannschaft rutschten und Erfahrung in der 4. Liga sammeln können, auch wenn wie zuletzt nach 8 Pleiten in Folge etwas Humor notwendig ist.
Die Einkaufsbilanz
Mittlerweile steht bei Türkiyemspor 26 Zugängen zu Buche, von denen mehrere Kicker bereits nicht mehr dabei sind. Immerhin konnten sich Akteure wie Julian Austermann (19), Christian Schalle (25), Koray Yesilli (19). Stephan Boachie (22), Gökhan Ahmetcik (26) einen Stammplatz erkämpfen. Im Endeffekt sind sie allerdings alle keine Verstärkungen für diese Spielklasse.
Prognose
Abstieg, und wenn kein "kleines Wunder" geschieht, Platz 18. Bereits der Vorletzte aus Havelse ist 17 Punkte entfernt.
Das Umfeld
Weder sportlich noch vom Umfeld her konnte Türkiyemspor Regionalliga-Tauglichkeit nachweisen. Am deutlichsten wird dies im Zuschauerzuspruch: 180 zahlende Zuschauer im Schnitt bedeuten den schlechtesten Besuch aller 54 Viertligisten. Das ist ein schrittweiser Rückgang von 347 im ersten Jahr 2008/2009 auf 285 in der Vorsaison bis auf den jetzigen Wert. Der Zwangsumzug in den "Jahn-Sportpark" weit ab der eigentlichen Heimat war eines der frustrierenden Ereignisse in über zweieinhalb Jahren Liga 4. Die Insolvenz konnte Mitte Oktober 2010 nur knapp abgewendet werden, Konsequenz war ein weiteres Ausbluten der Mannschaft mit dem Weggang der (wenigen) besseren Akteure. Wenigstens kann Türkiyem nun wieder ins "Katzbachstadion" zurückkehren. Ob man dann ernsthaft eine Rückkehr in die dann "erneut neue Regionalliga" anpeilen wird, bleibt abzuwarten. Im Vordergrund dürfte der Neuaufbau der 1. Mannschaft stehen. Ein Plus könnte dabei die Nachwuchsabteilung sein. Die A-Jugend spielt seit 3 Jahren in der Regionalliga Nordost ordentlich mit, schaffte im Vorjahr Rang 5. Die B-Jugend steht aktuell auf dem 3. Platz in der gleichen Spielklasse, knapp vor dem CFC. Insgesamt spielen 12 Jugendmannschaften beim BFC, durchaus bemerkenswert. Die Zeiten, als locker über 1.000 Fußballfreunde dem bekanntesten türkischen Verein in Deutschland beim Spiel zusahen, dürften ein Traum der wenigen engagierten BFC Freunde bleiben.
